Wie man mit dem ewigen Aufschieben Schluss macht

Prokrastination

Boris sitzt vor seinem Computer. Als Pressesprecher hat er wieder einmal viel zu tun. Er soll eine Pressemitteilung über das neueste Produkt schreiben. Außerdem ist da noch die eilige Anfrage aus dem CEO-Office, bis morgen früh eine knackige Präsentation für einen Vortrag zu gestalten. Eigentlich ist das nicht so schwierig für einen erfahrenen Kommunikator wie ihn. Enge Deadlines spornen Boris normalerweise sogar an.

Aber in letzter Zeit kommt er kaum hinterher. Boris fängt an, sich um sein Image zu sorgen. „Ich muss mich wirklich zusammenreißen“, brummelt er – und checkt dennoch erst mal den E-Mail-Verteiler. Er beginnt, einen veralteten Kontakt nach dem anderen zu löschen. Das dauert, und je länger es dauert, desto mehr gerät Boris in die Zwickmühle – soll er diese Baustelle jetzt verlassen, unerledigt, wie die eigentlich wichtigen Aufträge? Oder soll er weitermachen, um wenigsten das durchzuziehen?

Er entscheidet sich, erstmal einen Kaffee zu trinken. Dann beginnt er, die Maschine zu entkalken. Zwei Stunden später hat Boris die Maschine entkalkt, die eigentlichen Aufgaben aber hat er noch nicht erledigt. Aber Boris ist erledigt. Er hat das Gefühl, dass ihm zunehmend die Kontrolle entgleitet. Er ist verzweifelt.

Boris leidet unter Prokrastination. Gemeint ist das ernsthafte Aufschieben von Vorhaben oder Aufgaben, die man für wichtig erachtet und gegebenenfalls zu einem bestimmten Termin erledigen will. Fatal wird es, wenn dabei Tage, Wochen, Monate oder Jahre vergehen.

Man fasst immer wieder Vorsätze, setzt sich an den Schreibtisch und findet sich dann doch in der Teeküche, vor dem PC oder mit dem Smartphone in der Hand wieder. Im entscheidenden Moment entrinnt man der belastenden Aufgabe und belohnt sich für diese Flucht mit Essen, Medienkonsum oder der Herstellung von Ordnung. Später kommt das schlechte Gewissen, dann der Vorsatz: Morgen mach ich es anders. Aber: tomorrow never comes …

Laut einer Emnid-Umfrage sagen knapp 40 Prozent der Deutschen, dass ihnen durch Aufschieben bereits persönliche oder berufliche Nachteile entstanden sind. Eine internationale Studie der Procrastination Research Group zeigt, dass es weltweit etwa 14 Prozent Aufschieber gibt, die den Last-Minute- Kick schätzen und die alles auf den letzten Drücker erledigen. Demgegenüber versuchen 15 Prozent, negativen Gefühlen wie Angst vor Misserfolg auszuweichen, indem sie ihre Aufgaben aufschieben.

Vermeidung als Selbstschutz

Wer arbeitet, muss sich anstrengen und aufs Wesentliche konzentrieren. Arbeiten bedeutet auch immer wieder Triebverzicht. Auf Ablenkungsmanöver wie Essen oder Internet Shopping sollte man also verzichten. Wer sich mit solchen Entbehrungen schwertut, wird anspruchsvolle Aufgaben schnell als zu anstrengend interpretieren. Zu anstrengend bedeutet: Es ist ohnehin nicht zu schaffen, man braucht gar nicht erst anzufangen oder hört ab einer bestimmten Intensität von unangenehmer Spannung auf und widmet sich anderen Tätigkeiten.

Oftmals sind Aufgaben mit bewussten oder unbewussten Konflikten verbunden. Man möchte sich vor Kollegen profilieren, befürchtet aber gleichzeitig, dass sie einen ablehnen. Aufschieben kann ein Symptom solch ungelöster Konflikte sein.

Die meisten Menschen schieben Dinge auf, um ihr vermeintliches Selbstwertgefühl zu schützen. Steckt man beispielsweise harte und gut geplante Arbeit in eine komplizierte Pressemitteilung, die dann vom Vorstand kritisiert wird, kann man sich dies als persönliches Versagen ankreiden. Schustert man die Pressemitteilung hingegen auf den letzten Drücker zusammen, kann man die schlechte Bewertung auf den mangelnden Zeitfaktor schieben. Das eigene Image des hochkompetenten Pressesprechers sowie die Selbstachtung bleiben so angeblich bewahrt. Man gaukelt sich quasi was vor.

Viele Menschen fühlen sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt, anstehende Aufgaben in einer sinnvollen Abfolge zu erledigen. Schieben sie diese auf, fühlen sie sich freier. Dazu gehören Menschen, die selbstbestimmt arbeiten oder mehr Freiräume haben, wie Führungskräfte.

Wer chronisch aufschiebt, erreicht seine Ziele nicht, fühlt sich weniger kompetent und erfolgreich und stagniert im persönlichen Wachstum. Es ist wichtig, Dinge zu erledigen, um Erfolgserlebnisse und Selbstachtung zu haben. Dafür braucht es eine positive Arbeitshaltung. Die besteht einerseits aus dem Bestreben, dem eigenen Anspruch an die Qualität der Arbeit gerecht zu werden, sowie aus Fleiß und Konzentration. Wie das geht?

Hinterfragen, realistische Ziele setzen

Der erste Schritt besteht in der Selbsterkenntnis: Schieben Sie Dinge auf, weil Sie überhöhte Ansprüche an sich selbst oder Ängste haben? Schämen Sie sich nicht, dass Sie Dinge aufschieben!

Als nächster Schritt ist es wichtig, sich realistische Ziele zu setzen, die Aufgabe in kleine überschaubare Portionen einzuteilen sowie jede erledigte Aufgabe zu belohnen. Konkret heißt das:

  • Machen Sie eine Liste von all den Dingen, die Sie erledigen wollen. Streichen Sie alles von der Liste, was Sie ohnehin nie ernsthaft machen wollten.

  • Legen Sie Ihre eigenen Ziele, Werte und Prioritäten fest. Bleiben Sie dabei realistisch. Schreiben Sie das alles auf!

  • Identifizieren Sie Konflikte wie Angst, Ärger und Perfektionismus sowie irrationale Einstellungen. Dazu gehört, dass Aufgaben angeblich zu anspruchsvoll sind, dass ein Scheitern eine Katastrophe wäre.

  • Prüfen Sie, ob Sie trotz gegenwärtiger Konflikte und hinderlicher Einstellungen eine Chance haben, Ihre Vorhaben erfolgreich zu bewältigen.

  • Planen Sie, wie Sie Ihre Ziele in kleinen Schritten und Etappen erreichen können.

  • Schätzen Sie den Zeitaufwand, bis Sie Ihr Projekt erledigt haben werden, und verdoppeln Sie die Zeit dann.

  • Legen Sie Belohnungen für Erfolg fest und belohnen Sie sich für jeden Schritt.

  • Beobachten Sie sich genau und halten Sie Ihre Beobachtungen in einem Veränderungslogbuch fest.

​Wenn Sie nun feststellen, dass Sie trotz dieser Vorschläge Ihr Problem des Aufschiebens nicht in den Griff bekommen, brauchen Sie professionelle Hilfe. Ihr Unternehmen sollte Sie nun unterstützen, beispielsweise durch gezieltes Coaching. Denn eines ist auch klar: Schiebt man als Kommunikator immer wieder Dinge auf, geht das auf Kosten einer sichtbaren und glaubwürdigen Unternehmenskommunikation.

 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ENDE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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