Auf die richtige Taktik kommt es an

Der gekonnte Talkshow-Auftritt

Es war kein vielversprechendes Geschenk, das Gero Furchheim in der Adventszeit auf seinen Tisch bekam. Erst seit kurzem war er im Dezember 2014 Präsident des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (bevh), sein Verband musste sich gerade mit Berichten über schlechte Arbeitsbedingungen in der eigenen Branche herumschlagen. Maßgeblich ausgelöst wurden die seinerzeit durch Undercover-Recherchen des Journalisten Günter Wallraff. Und mit eben jenem wollte die Redaktion der Konfrontations-Talkshow „Hart aber fair“ Furchheim in eine Sendung bringen, er sollte den gescholtenen Versandhandel verteidigen. Keine leichte Aufgabe. Furchheim ging in ein Turbo-Medientraining, bei dem unter Studiobedingungen mögliche Situationen einer Live-Sendung durchgespielt wurden.

Sein Trainer: Ulrich Schneider, Geschäftsführer von Felix Kommunikation in Frankfurt. Kaum zwei Tage blieben zur Vorbereitung – der Erfolg konnte sich sehen lassen. Denn nicht Wallraff, wie im Vorfeld anzunehmen war, gelang es, das Publikum während der Sendung auf seine Seite zu ziehen, sondern den Freunden des Versandhandels, als dessen Lobbyist Furchheim einstand. Wallraff wirkte wütend, schrieben Zeitungen nach der Sendung, und lobten, dass Furchheim das Bild über seine eigene Branche wieder ein wenig objektiviert habe. Die Sendung war ein Erfolg, sagen Furchheim und Schneider. Im Doppelinterview erklären sie den Weg dorthin.

Herr Furchheim, Sie sind ein erfahrener Medienmann, eigentlich haben Sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht, als mit Journalisten zu arbeiten. Warum haben Sie dann trotzdem einen Medientrainer engagiert?
Gero Furchheim: Das Format „Hart aber Fair“ ist ja schon ein besonderes, und eine Live-Talkshow im Fernsehen an sich auch. Mit 20 hatte ich mal an so einem Format teilgenommen, und bereits da habe ich gemerkt, dass man sich professionell vorbereiten muss. „Doppelpunkt“ war das, eine Jugendsendung im ZDF. Es ging um den zweiten Golfkrieg, der damals begann, ich war in der Sendung als Vertreter der Wehrpflichtigen beim Deutschen Bundeswehrverband.

Was lief damals falsch?
Man muss vor einer Kamera knackig und prägnant formulieren. In der Sendung damals bin ich mit einem sehr komplexen Satz eingestiegen, mit drei Schachtelsätzen. Bevor ich den Satz beenden konnte, musste ich Luft holen, ehe ich die Teilsätze wieder zusammenfügen konnte.

Und das wollten Sie jetzt bei der Begegnung mit dem Medienprofi Wallraff vermeiden?
Ich hatte Respekt vor dem konfrontativen Format der Sendung. Wenn man sich dort vergaloppiert, ist man schnell im Abseits.

Sie kamen dann auf Herrn Schneider, viel Zeit blieb bis zur Sendung nicht mehr. Herr Schneider, wie läuft so ein Coaching ab? Gibt es eine Defizit-Analyse?
Ulrich Schneider: Das Wort „Defizit“ mag ich nicht so sehr. Das klingt, als gäbe es einen einzig perfekten Standard und die Abweichung davon ist dann der zu behebende Fehler. Sie brauchen für jeden Einzelfall ein Stärken- und ein Schwächenprofil. Das müssen Sie schnell herausarbeiten. Wie Sie es sagen, man hat bei TV-Auftritten selten mehr als eine Woche Zeit, wenn überhaupt. In der Vorbereitung geht es um individuelle Psychologie, die mediale Spiegelung der eigenen Person und um die eigene Körpersprache. Darüber hinaus werden vor einer Kamera geradezu archetypische Ängste geweckt, man kommt automatisch in einen Angriffs- oder Verteidigungsmodus. Das verkrampft und zerstört die natürliche Authentizität. Was so ziemlich das Letzte ist, was einen in einer Talkshow weiterbringt.
Gab es das Problem bei Herrn Furchheim auch?
Schneider: Wichtig war, auf der Stärkenseite seinen persönlichen Humor zu retten. Er musste lernen, den vor die Kamera zu bringen.
Furchheim: Das war ein zentraler Punkt für mich: Als Herr Schneider mir sagte, ich solle mir meinen Humor auch vor der Kamera bewahren.

Das klingt jetzt aber ein wenig wie der Hinweis beim Fotografen, man solle nicht so verkrampft lächeln. Das bewirkt nach jeder Alltagserfahrung ungefähr genau das Gegenteil.
Schneider: Ein Fehler, den viele Trainer machen, die nur im PR-Rahmen denken und nicht die psychologische und handwerkliche Seite beherrschen. Natürlich kann ich Herrn Furchheim nicht befehlen, witzig zu sein. Sie müssen als Medien-Coach die Differenz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung in Übereinstimmung bringen. Herr Furchheim musste sich bewusst machen, dass er humorvoll ist und warum das auch vor der Kamera funktioniert.
Furchheim: Am Ende wusste ich einfach, wie ich vor der Kamera rüberkomme. Welche Argumente funktionieren, wie kann ich etwas pointieren? Das war mir danach klar, vor allem war ich aber sicher, dass ich es auch wirklich kann.

Teil eines Medientrainings ist es, mögliche Argumente vorher durchzugehen. Über Arbeitsbedingungen bei Lieferanten wurde in der Vorweihnachtszeit dauernd berichtet, da war also relativ klar, was auf Sie zukommt. Besteht nicht die Gefahr, dass man mit einer zu konkreten Vorbereitung als Sprechroboter in die Sendung geht, der nur auf sein Stichwort wartet?
Schneider: Herr Furchheim hat ja keine konkreten Sätze auswendig gelernt, sondern Argumentationsstrategien entwickelt. Tatsächlich gibt es das Problem der gestanzt wirkenden Formulierungen, zum Beispiel im Bankensektor, wo Reden Wort für Wort vom Blatt abgelesen werden. Innerhalb des eigenen Kosmos kann man damit bestehen, aber nicht im Fernsehen. Noch schlimmer kann es werden, wenn man mit einem Teleprompter arbeitet. Nur mit jahrelanger Erfahrung schaffen Sie es, dass das nicht künstlich wirkt, weil die Mimik natürlicherweise einfriert. Aber in Live-Sendungen ist das ja sowieso keine Option.

Das Prinzip von „Hart aber Fair“, allgemein der Talkshow, baut auf starke Gegensätze bei den Gästen. Ihr Konterpart war Günter Wallraff, ein Kritiker der Postdienstleister. Ihr Hauptgegner?
Furchheim: Den Begriff „Gegnerschaft“ verwende ich nicht. Aber natürlich war es von der Redaktion kalkuliert, dass sich nicht alle Diskussionsteilnehmer in den Armen liegen. Unser Verband vertritt eine große Breite an Unternehmen, da muss ich mich auf jeden Gesprächspartner vorbereiten. Ich hatte da unsere Geschäftsstelle aktiv mit eingebunden. Dort haben Referenten und die Pressesprecherin analysiert, was für Fragestellungen auf uns zukommen könnten und wie die einzelnen Gäste sich in letzter Zeit positioniert haben.
Schneider: Es war eine schwierige Aufgabe, die Herr Furchheim lösen musste. Einerseits als Gegenpol auftreten und entsprechend stark formulieren, andererseits aber eine differenzierte Diskussion ermöglichen. Es wird schnell langweilig, wenn man sich in pauschaler Gegnerschaft begegnet.

Sie haben gleich zu Beginn der Sendung eine Ausgabe der „Stiftung Warentest“ aus dem Jackett gezogen, in der dem Onlinehandel gute Noten gegeben wurden. Was hatten Sie damit bezweckt?
Furchheim: Nun ja, ich habe im Wortsinne einen Trumpf aus der Tasche gezogen. Ich wollte zeigen, und das ist mir glaube ich auch gelungen, dass die Logistikdienstleister, die für die Unternehmen des Verbands arbeiten, mit Kritik umgehen können und viel verbessert haben. Als Verband sind wir auf langfristige Verbesserungen und Entwicklungen aus, wir sehen ein breites Aufgabenspektrum. Mit so einem Verweis auf einen Test lenkt man den Blick erst einmal auf etwas sehr Punktuelles. Aber so funktioniert öffentliche Diskussion nun mal, und entsprechend muss man in so einer Sendung agieren. Und das habe ich gemacht.
Schneider: Das war die richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt.

Noch davor, im ersten Satz von Herrn Furchheim überhaupt, sagten Sie, dass der Onlinehandel eine „fantastische Erfindung“ ist. Danach forderten Sie Wallraff auf, die Verbesserungen zu loben. Ist das das Prinzip einer Talkshow: Möglichst hoch einzusteigen?
Schneider: Eine Talkshow ist eine Arena, und dort muss man schnell den Argumentationsrahmen setzen und pointiert und knapp argumentieren. Das ist ein Gewinn für alle Beteiligten, Herr Plasberg hatte sichtlich Spaß daran.

Herr Wallraff stieg dann nicht minder hart ein, indem er von den „menschenunwürdigen“ Bedingungen im Versandhandel sprach. Das hätte auch ganz schnell eine Krawallsendung werden können, aus der niemand unbeschadet rausgeht.
Schneider: Aber Sie sehen ja, dass es keine geworden ist. Das lag unter anderem daran, dass Herr Furchheim so reagiert hat, wie er es getan hat. Mit ein bisschen Emotion, aber trotzdem sehr sachlich. So etwas muss man aber inhaltlich und mental vorbereiten und üben, sonst kann so eine Situation schnell entgleiten, das stimmt.

Kann Krawall auch nützlich sein?
Furchheim: Wir wollten als Gäste jedenfalls nicht vier Millionen Zuschauer zum Einschlafen bringen. Es geht um eine Balance zwischen Emotionen, die eine Diskussion beleben, und sachlichen Argumenten, die sie tragen. Deshalb habe ich auch ganz bewusst dieses appellative Element reingebracht, indem ich gefordert habe, auch mal die Verbesserungen anzuerkennen. Wenn wir als Verband uns der Kritik annehmen, dann wünsche ich mir auch, dass Kritiker die Verbesserungen sehen. Ich wollte, dass die Emotionalisierung nicht nur immer in eine Richtung, nämlich gegen meine Branche, geht. Sonst wäre ich nicht mehr aus der Defensive gekommen. Gleichzeitig wollte ich nicht ohne Not eskalieren.
Schneider: Das war Ausfluss einer Strategie und hätte sicher nicht funktioniert, wenn wir genau diese Szene vorher geprobt hätten und dann auf den Einsatz gewartet hätten. Herr Furchheim fühlte sich sicher, weil er genügend Informationen zusammen hatte. Das „Stiftung-Warentest“-Magazin war ja nur ein Rückhalt. Allerdings ein sehr starker, weil ein Titelblatt mit starkem Markennamen im visuellen Medium Fernsehen sehr gut zieht.

Später in der Sendung sprach Wallraff vom „kalten Leben“ und den „verödeten Innenstädten“, verursacht durch den Versandhandel. Es scheint, als ob er da endgültig die Diskussion verloren hatte, oder?
Schneider: Das bestätigt, was wir vorhin schon sagten. Sie können, egal auf welcher Seite, eine solche Sendung nicht bestehen, wenn sie nur in markanten Sprüchen und in Schwarz-Weiß argumentieren. Das ist nicht unbedingt glaubwürdig.

Der Markus-Söder-Effekt?
Schneider: Das ist Ihr Begriff. Man muss auch sagen, dass diese Masche funktionieren kann. Wenn Sie ein Gegenüber haben, der nicht die richtigen Argumente parat hat und mit Emotionalität in einer Diskussion nicht umgehen kann, dann ist der auf diese Weise ganz leicht schachmatt gesetzt. Deshalb ist ein Medienakteur wie Wallraff so ein schwieriger Konterpart für Leute, die sich sonst nur im Wirtschaftskreisen bewegen. Manager sind meistens ausschließlich auf der Sachebene unterwegs und ansonsten weitgehend blind. In einer Talkshow ist das fatal.

Herr Furchheim, sind Sie als Sieger aus der Sendung gegangen?
Ich habe diese Herausforderung mit Freude angenommen. Alles weitere muss der Zuschauer für sich beantworten.
Schneider: Es war ein Sieg unter schwierigen Bedingungen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.

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