Auf den Kontext kommt es an

Hat nicht schon jeder PR-Mensch in schwachen Momenten davon geträumt, einmal für Apple zu arbeiten? Vor dem Launch eines Produkts reichen ein paar Gerüchte zu neuen Funktionen, um wochenlang  Spekulationen auf allen Kanälen zu befeuern. Das Web vibriert erwartungsvoll. Und dann die große Verkündigung! Hunderte von Kameras halten den Moment fest, tausende von Journalisten posaunen die frohe Botschaft bis in die letzten Winkel der Welt hinaus: Das neue i-Ding ist da! Gigantische Medienresonanz, Menschenschlangen vor den Stores, aberwitzige Verkaufszahlen – das ist das perfekte PR-Paradies. Für Otto-Normal-Verkünder sieht die Welt dagegen anders aus. Das eigene Produkt ist nicht mehr neu und längst das Dritte seiner Art im Regal.  Es ist im besten Falle sinnvoll, aber weit entfernt von sexy. Und wenn es ganz hart kommt, mag man darüber beim Frühstück noch nicht mal lesen, weil es Symptome kuriert, über die normale Menschen nur mit ihrem Arzt sprechen. So stehen nicht nur Berufsanfänger immer wieder vor der Frage: Wie mache ich PR für Dinge, die weder neu noch hip noch trendy sind?

Themen finden

Weil es hier nur um die B2C-Kommunikation gehen soll, lautet der wichtigste Teil der Antwort: Ein Produkt, dessen Nutzen nicht geschildert werden kann, hat bei Verbrauchern keine Chance. Das gilt selbst für zweckfreie Lifestyle-Produkte, die ihren Käufern zumindest Spaß oder Genuss versprechen. Jeder PR-Verantwortliche sollte daher gute Antworten auf zwei Fragen parat haben: Was unterscheidet mein Produkt von anderen (Unique Selling Point) und welches Problem kann es lösen? Selbst reine „Me-too“-Produkte haben etwas, aus dem sich ein anschauliches Thema für die Pressearbeit oder das Web entwickeln lässt: Wie macht mein Produkt das Leben eines Verbrauchers schöner, leichter, angenehmer? Wie hilft es ihm, Geld zu sparen, gesünder zu werden, besser auszusehen?  Jeder Nutzen eignet sich als Themenaufhänger.

Neues oder Nutzen

Keine Frage: Wer sich (positive!) Berichterstattung über das eigene Produkt in den Medien wünscht, bietet Journalisten am besten etwas Neues. Doch es muss nicht gleich eine bahnbrechende Innova­tion sein, oft reicht schon ein neuer Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes. So dürfte oberflächlich betrachtet der Nachrichtenwert von Trockenbauzubehör gegen Null tendieren. Und doch gelingt es einem bekannten Hersteller immer wieder, Auflagen in Millionenhöhe mit diesem Thema zu erzielen. So zum Beispiel mit einem Beitrag über die Möglichkeit,  mit schalldämpfenden Trockenbauprofilen ein Musikzimmer für den E-Gitarre spielenden Nachwuchs  zu schaffen. Garniert mit einem Foto zweier rockender Kids wurde der journalistisch aufbereitete Text rund 100 Mal abgedruckt.

Ähnlich erfolgreich war eine Kampagne für einen Direktversicherer zum Thema „Sterbegeld“, einem Finanzprodukt, das sicher nicht im Verdacht allgemeiner „Hipness“ steht. Der Weg zu einer Gesamtauflage von zwölf Millionen Exemplaren binnen Jahresfrist war einfach: Statt nur die Vorteile einer solchen Police zu schildern, wurden Texte mit redak­tionellem Nutzwert geschaffen. Sie erklärten, woran im Falle des Todes eines Angehörigen zu denken und wie eine Beerdigung zu organisieren ist. Zudem wurde mit sterbegeld.de eine Website eingerichtet, auf der eine Checkliste alles Wichtige rund um den Trauerfall zusammenfasste.

Der neue Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes lässt sich oft aus dem Nutzen ableiten. Gibt es eine Zielgruppe, für die das Produkt hilfreich sein kann, an die ich in der Vergangenheit noch nicht gedacht habe? Tierbesitzer, Alleinstehende, Gehbehinderte, Familien, Männer, Gestresste? Gleiches gilt für saisonale Anlässe. Ein Mittel gegen Scheidenpilze lässt sich in der sommerlichen Reisezeit in einen anderen Kontext stellen als im Herbst oder Winter, wenn Sauna und Hallenbad angesagt sind. Risikolebens- oder Haftpflichtversicherungen lassen sich im Frühling mit Fahrradtouren, im Winter mit Buckelpisten oder vereisten Straßen verbinden – entscheidend ist der sinnvolle, nicht übertrieben wirkende Kontext.

Nachrichtenwert schaffen

Die Königsdisziplin der Themenfindung heißt „Nachrichten selber machen“. Eine Herausforderung, die unter dem Stichwort „Content Marketing“ zu neuer Blüte kommt. Großmeister dieser Disziplin dürfte neben Apple das Red-Bull-Imperium  sein. Felix Baumgartners Sprung von der Weltraumkante, den das  Unternehmen mit 50 Millionen Euro finanzierte, füllte die Nachrichtenseiten weltweit und erzielte einen Werbewert in Milliardenhöhe. Doch das Prinzip des Nachrichten-Machens funktioniert auch ein paar Nummern kleiner. Wer schon mal eine Studie oder Umfrage zu einem verbrauchergerechten Thema initiiert hat, weiß, wie es geht: Man lasse sich für eine repräsentative Telefon-Umfrage ein paar nette Fragen einfallen, die im nahen, aber nicht peinlich direkten Kontext zum eigenen Produkt stehen. Gut etwa: „Wie oft küssen Sie am Tag?“ (geeignet für Zahnpasta oder Zahnzusatzversicherungen bis hin zu Rasierern und Deosprays). Schlecht dagegen: „Was halten Sie von Produkt xy?“ Wer es dann noch schafft, eine attraktive Pressegrafik mitzuliefern, um die Zahlenkolonnen übersichtlich zu präsentieren,  wird seiner Clipping-Sammlung etliche Fundstücke hinzufügen können – Journalisten lieben knackige Zahlen über alles.

Jeder kann Experte sein

Eine weitere Möglichkeit, Nutzen oder Neues zu bieten, ist die Expertise des eigenen Unternehmens beziehungsweise die der Mitarbeiter. Wer ist glaubhafter als ein Ingenieur, Handwerksmeister, Koch oder Mediziner, der einen bestimmten Sachverhalt erklärt, bewertet und einordnet? Deren sachliche Aussagen ohne PR-Sprech und marketingkonforme Botschaften taugen nicht nur als Futter für informationshungrige Redaktionen, sondern schmücken auch die eigene Homepage. Ob als suchmaschinenoptimierter Text, der zum besseren Ranking der Website beitragen kann, oder als userfreundliches Video – das Web bietet viele Möglichkeiten, interessante Inhalte attraktiv zu präsentieren. Das Zusammenspiel aller Kanäle überzeugt: Die Vorteile eines neuen Mittelbettklebers lassen sich in einem Pressetext für die Printmedien nur bedingt schildern. Kann der Text jedoch auf ein Video im Web verweisen, in dem ein Handwerker zeigt, wie einfach eine Bodenfliese damit verlegt werden kann, ist die crossmediale Kommunikation gelungen.

Betroffenheit nutzen

Heikel ist die redaktionelle Ansprache von Verbrauchern im Gesundheitsbereich, nicht nur im Falle von verschreibungspflichtigen Medikamenten. Schon das leise Versprechen von Wirksamkeit eines Produkts kann eine Abmahnung nach sich ziehen. Presserecht und Heilmittelwerbegesetz lassen keinen Spielraum für Botschaften, die Produktmanagern wichtig sind. Trotzdem funktioniert es, sowohl mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten als auch mit ethischen Produkten in den Publikumsmedien zu erscheinen. Etwa über serviceorientierte Ratgeberthemen, die das eigene Produkt nicht plump in den Mittelpunkt stellen. So nennt ein Reisemediziner zum Ferienstart die wichtigsten Bestandteile einer Reiseapotheke, in die ein Mittel gegen Durchfall gehört. Oder: Eine Frauenärztin gibt Tipps für die Intimhygiene bei Trekkingtouren und macht damit auf die Verwendung von Vaginalzäpfchen, Pilzcreme oder Waschlotionen aufmerksam. Oder: Eine Psychologin erläutert, wie Frauen in den Wechseljahren nicht nur mit den typischen körperlichen Begleiterscheinungen fertig werden, sondern auch ihre Beziehung in dieser schwierigen Phase lebendig halten können. Selbstverständlich werden alle Themen mit attraktiven Fotomotiven („Moods“) illustriert und nicht mit frei gestellten Produktfotos.

Das eigene Unternehmen oder Medikament positiv im redak­tionellen Raum erscheinen zu lassen, gelingt ebenfalls gut in Form von Leser- oder Hörer-Telefonaktionen mit Experten. Besonders geeignet sind Produkte, die gegen Krankheiten helfen können, von denen viele Menschen betroffen sind: Migräne, Rücken- oder Herzleiden, Frauenleiden, Diabetes, Grippe, Rheuma et cetera. Je neutraler die Gruppe der Experten insgesamt wirkt, desto leichter fällt es Redaktionen, in ihr einen sachkundigen Vertreter des Herstellers zu akzeptieren. Meist kann die zu promotende Therapie oder der Unternehmensname im Vorbericht der Telefonaktion sowie im ausführlichen Nachbericht untergebracht werden. Aktionen wie diese lassen sich ebenfalls gut im Web weiterdrehen: Ein Chat mit den Experten auf der Seite eines spezialisierten Anbieters oder auf einer eigenen Webseite schafft attraktiven Content und vergrößert die Reichweite. Ratsam ist jedoch, einen „sprechenden“ Domainnamen (nicht nur) für die Aktion anzubieten, wie etwa www.gegendenkopfschmerz.de (erfundenes Beispiel). Das sorgt für eine höhere Akzeptanz bei Redaktionen und Usern gleichermaßen. Interaktive Veranstaltungen mit Experten eignen sich übrigens auch gut in der Versicherungswirtschaft, wenn Unternehmen willens sind, über Themen und nicht nur über Produkte zu sprechen.

Content ist King

Da das Internet das Leseverhalten von mehr als einer Generation komplett verändert hat, müssen Marketing- und PR-Verantwortliche umdenken, wenn sie positive Aufmerksamkeit für ihre Themen (!) erzielen wollen. Ob Redakteur, Leser oder User – alle erwarten mehr denn je nützliche Informationen. Google treibt diese Entwicklung mit hohem Tempo voran. Jedes Update des Algorithmus legt mehr Wert auf sinnvolle Inhalte als die Version davor. Texten mit Schlagworten vollzustopfen, die dann die Qualität von Waschzetteln haben taugen nicht mehr dazu, um im Kampf um die Aufmerksamkeit zu bestehen. Erst inhaltliche Qualität bietet den Mehrwert, der Mensch und (Such-)Maschine gefällt. Für uns PRlerheißt das: Kreativität bei der Themenfindung und Aufbereitung der Informationen wird belohnt, was wiederum unsere tägliche Arbeit lebendig und reizvoll macht. Das mag nicht immer das wahre Paradies sein, aber vielleicht ist das auch gut so. Wir wissen ja, wie das damals mit dem Apfel ausgegangen ist.

5 Tipps

– Stellen Sie nicht das Produkt, sondern ein Thema vor
– Verdeutlichen Sie den Nutzen
– Investieren Sie Geld oder/und Zeit in ein gutes Foto
– Überzeugen Sie mit Expertenwissen
– Schaffen Sie einen Nachrichtenwert

Über den Autor: Jens Guder entwickelt seit zehn Jahren Themen für die Pressearbeit der etwa 600 Kunden der deutschen journalisten dienste (djd). Der Pressedienst ist auf die Ansprache von Verbrauchern für B2C-Kunden aus Industrie, Wirtschaft und Verbänden spezialisiert – online wie offline. Jens Guder arbeitete viele Jahre als Reporter für Tages- und Boulevardzeitungen, bevor er als PR-Berater für Ketchum Pleon (damals KohtesKlewes) tätig war. Neben der Themenentwicklung verantwortet er die Eigendarstellung von djd.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Employer Branding. Das Heft können Sie hier bestellen.

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