Allein unter Männern

pressesprecher: „Die Frau, die Hoeneß knackte“, schrieb eine Frauenzeitschrift über Sie und bezog sich damit auf das große Enthüllungs-Interview, das Sie mit dem Bayern-Präsidenten führten. Hätte es die Zeile „Der Mann, der Hoeneß knackte“ auch gegeben?
Cathrin Gilbert: Nein, wahrscheinlich nicht. Als Frau stehe ich in dem Milieu, in dem ich mich beruflich bewege, manchmal schon unter besonderer Beobachtung. In diesem Fall lief das allerdings nicht ganz so glücklich.

Warum nicht?
Weil diese Überschrift den Eindruck erwecken konnte, ich hätte das Interview alleine geführt. Das Gespräch ist aber in Teamarbeit mit meinen Kollegen Hans-Werner Kilz und Stephan Lebert entstanden. Diese ressortübergreifende Zusammenarbeit ist eine große Stärke der „Zeit“.
 
Wie kam es eigentlich zu dem Interview mit Uli Hoeneß? Stimmt es, dass Sie ihn persönlich auf seinem Handy angerufen haben?
Ja, das stimmt und ist nichts Besonderes. Mein Chef Moritz Müller-Wirth rief mich an jenem Samstag im Mai an und wies mich auf die Meldung des „Focus“ über Hoeneß’ Selbstanzeige hin. Wir überlegten gemeinsam, wie wir am klügsten vorgehen. Uns war natürlich sofort klar, dass wir mit Uli Hoeneß persönlich sprechen müssen. Also habe ich ihn angerufen.

Woher haben Sie den Kontakt zu Uli Hoeneß?
Wir kennen uns seit vielen Jahren und haben auch während meiner Zeit als „Spiegel“-Redakteurin einige Gespräche geführt. Dieses Telefonat war also einerseits normal – in dieser Situation dann doch eines der schwierigsten.

Sie haben im Alter von 20 Jahren zunächst bei „Bild“ als Sportredakteurin gearbeitet und waren die einzige Frau unter 100 männlichen Kollegen. Wie fühlte sich das an?
Das war eine harte, aber wunderschöne Zeit, in der ich unheimlich viel gelernt habe und von der ich heute noch profitiere. Ich würde jedem jungen Journalisten empfehlen, die Boulevardschule zu durchlaufen. Dabei lernt man, auf Menschen zuzugehen, auf eine respektvolle Art hartnäckig zu sein, sich als Journalist nicht so wichtig zu nehmen oder gar über den Gesprächspartner zu stellen. Aber darauf wollten Sie nicht hinaus, stimmt’s?

Ehrlich gesagt wollten wir wissen, ob Sie sich viele Macho-Sprüche anhören mussten.
Sie sind nicht die Erste, die das fragt. Die Wahrheit ist: Ich war so jung und vielleicht auch naiv, dass ich solche Sprüche relativ leicht abprallen ließ. Außerdem hatte ich mit Matthias Brügelmann einen Chef, der mich auf eine angenehm leise Art sehr gut geführt und vielleicht auch vor dem ein oder anderen Angriff beschützt hat.

Mit 22 Jahren fingen Sie dann beim „Spiegel“ an. Auch dort waren Sie die einzige Frau im Sport. Kamen Sie sich manchmal vor wie eine „Quotenfrau“?
Ja, da liegen Sie gar nicht so falsch. Beim „Spiegel“ musste ich viel mehr Kraft investieren, um mich zu behaupten, als bei „Bild“.

Wo gibt es mehr Machos? Bei „Bild“, „Spiegel“ oder der „Zeit“?
Macho ist Ihre Wortwahl. Der „Spiegel“ ist ein politisches Magazin und als solches sind viele Kollegen und sicher auch Kolleginnen mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein gesegnet und auf ihre Art auch politisch. Beim „Spiegel“ wird nicht immer mit offenem Visier gekämpft. Das macht es manchmal unberechenbar. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Meine Kollegen im Sportressort haben mir eine Zeit lang das Gefühl vermittelt, meine Stelle sei nur geschaffen worden, weil ich eine Frau bin. Das ärgerte mich. Ich dachte, ich müsse mich noch mehr beweisen als meine teilweise 30 Jahre älteren Kollegen. Irgendwann sprach ich meinen Ressortleiter darauf an und der sagte, das sei völliger Blödsinn. Das war aufrichtig und ich habe es ihm abgenommen. Auch beim „Spiegel“ hatte ich mit Lothar Gorris einen wunderbaren Chef, dessen Beurteilung nur nach Inhalt und Engagement ging; ob ich eine Frau oder ein Mann bin, spielte für ihn keine Rolle.

Der Verein ProQuote, der von namhaften Journalisten unterstützt wird, fordert, bis 2017 30 Prozent der Führungspositionen im Journalismus mit Frauen zu besetzen. Sie sind im Januar nach siebenjähriger Redakteurstätigkeit beim „Spiegel“ zur „Zeit“ gewechselt. Sie arbeiten nun als Redakteurin im Politik-Ressort und leiten parallel die neu geschaffene Fußball-Seite. Was halten Sie von einer Quote?
Die Initiative der Kolleginnen schätze ich sehr. Ich bin nicht gegen die Quote, aber ich habe die 30-Prozent-Forderung auch nicht unterschrieben und bin kein Mitglied des ProQuote-Vereins.

Warum nicht?
Ich mag grundsätzlich keine Selbstverpflichtungen. Der Journalismus profitiert schon jetzt von uns Frauen – in führenden und nicht führenden Positionen. Die Veränderung soll aber nachhaltig bleiben. Deshalb ist die zentrale Frage, ob die Frau oder der Mann die neue Rolle wirklich ausfüllen kann. Die Verlage wären doch naiv, wenn sie uns Frauen in Zukunft übergehen würden. Sie müssen sich zwangsläufig neuen Ideen, Blicken, Kulturen öffnen, um im Wettbewerb zu bestehen.

Ende der 80er Jahre gab Otto Rehhagel Sabine Töpperwien kein Interview. Er empfahl ihr, ihren Bruder zu schicken. Wie sieht das heute aus? Gab es blöde Kommentare, als Sie die Leitung für die Fußball-Seite der „Zeit“ übernahmen?
Nein. So etwas gibt’s heute nicht mehr. Die Menschen in der Sportwelt – Trainer, Spieler, Manager, Pressesprecher – sind weiter als mancher Kollege. Vor allem im internationalen Bereich. Sie behandeln eine Frau mit dem gleichen Respekt wie einen männlichen Kollegen.

Wie meinen Sie das?
Wenn ich zum ersten Mal zu einer Person Kontakt aufnehme, bei Politik- oder Sportrecherchen, werde ich kritischer beobachtet als meine Kollegen. So etwas spürt man. Das kann sich aber zum Vorteil entwickeln. Das Vertrauen ist größer, der Kontakt auf Dauer meist intensiver,  als er mit männlichen Journalisten wäre.

Haben Sie einmal eine Situation erlebt, in der Sie ähnlich abgekanzelt wurden wie Sabine Töpperwien?
Ja, einmal. Für den „Spiegel“ begleitete ich die Fußball-Nationalmannschaft ins Ausland und wartete damals auf ein Feedback des damaligen Pressesprechers für ein Interview. Als ich um halb sieben abends immer noch nichts gehört hatte, rief ich ihn auf dem Handy an – ohne Erfolg. Am nächsten Morgen versammelten sich alle anwesenden Journalisten im Hotel und der Pressesprecher raunzte durch die Lobby: „Frau Gilbert, wenn Sie mich noch einmal nachts belästigen!“ Auf den Spruch hatte er sich wahrscheinlich seit dem Vor­abend gefreut wie ein Schnitzel. Die Lacher waren eher überschaubar, es wurde ganz still. Bis ein Kollege des ZDF aufstand und sagte, er solle mal nicht so übertreiben. Wir haben das Interview mit Jens Lehmann trotzdem bekommen. Es kommt im Übrigen auch sehr darauf an, inwiefern man als Frau von den eigenen Kollegen und Chefs unterstützt wird. Dieser Rückhalt erleichtert mir meine Arbeit bei der „Zeit“ enorm.

In den Sportredaktionen sind die Frauen unterrepräsentiert. Auf dem Fernsehbildschirm sieht man hingegen häufiger mal zugegebenermaßen recht attraktive Sportjournalistinnen. Haben diese Frauen tatsächlich Ahnung oder nur die „Petersilienfunktion“?
Es gibt einige Kolleginnen, die sehr viel Ahnung haben. Allerdings sind auch ein paar dabei, die nicht ganz so überzeugend auftreten. Solche Phänomene gibt es allerdings auch bei den Männern. Das ist deshalb schade, weil die Kollegen im Fernsehen natürlich viel präsenter sind als wir Printkollegen und deshalb das Image schon stark prägen.

Was raten Sie Nachwuchsjournalistinnen, die es ins Sport-Ressort zieht?
Augen auf und durch. Es gibt kein Ressort, in dem man sich als junger Journalist so ausprobieren kann wie im Sport. Man lernt, unter dem wöchentlichen Ergebnisdruck und täglichen Konkurrenzdruck eigene Meinungen zu entwickeln, und sollte nicht zu viel Energie verschwenden, über den Unterschied zwischen Männern und Frauen nachzudenken.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Frauen in der PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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