Lachen als Medizin

Kommunikation

Stellen Sie sich vor, in Ihrer Abteilung herrscht Stress. Es ist Erkältungszeit und viele Kollegen sind krank oder im Urlaub. Die Abteilung ist unterbesetzt. Eine Kollegin jedoch beschwert sich nicht, sondern sie ruft den anderen beiden laut zu: „Na, dann geh ich jetzt erstmal ’nen schönen Kaffee trinken!“

Sie halten inne, sehen sich und die freche Kollegin an, bemerken deren Lächeln und müssen lachen. Dann setzen Sie sich zusammen und überlegen, was unbedingt erledigt, was verschoben oder wer um Hilfe gebeten werden kann. Zum Beispiel der Kollege aus dem Nachbarbüro, der dem Kompliment „Keiner erstellt so schöne Exceltabellen wie du“ womöglich schwer widerstehen kann.

Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“, sagte der Dichter Joachim Ringelnatz. Recht hat er! Humor verbindet Menschen. Als eine Art Beziehungsschmiede fördert und verbessert er die Kommunikation. Humor ist ansteckend und erleichtert die soziale Interaktion. In der wissenschaftlichen Literatur wird er als „soziales Schmiermittel“ beschrieben. Humor beeinflusst die Art, wie wir Beziehungen gestalten. Er löst Spannungen auf und baut Angst ab.

Was gibt’s denn hier zu lachen?

Dass Humor vieles leichter macht, wissen die Clowns unseres Vereins Rote Nasen Deutschland. Auf der Kinderstation im Krankenhaus verwandeln sie zum Beispiel eine Spritze in eine Mondrakete und nehmen den kleinen Patienten so die Angst vor einer unangenehmen Untersuchung. Im Pflegeheim für demenziell Erkrankte wird aus einem Rollator ein Golfcaddy, Clown und Bewohner erleben so eine wunderschöne Zeit auf dem Golfplatz – ohne dass die Demenzstation verlassen wird. 

Das Geheimnis des Clowns liegt in seiner Absichtslosigkeit. Ein Clown verfolgt kein Ziel – es sei denn, das ist Teil seines Spiels. Wer spielt, darf Fehler machen und darf scheitern. Wer spielt, verlässt vorgetretene Pfade und entdeckt unbekannte Welten. Wer spielt, ist kreativ und innovativ. 

Unsere Clowns bieten überdies Humorseminare an. Dort tun sie genau das: Sie spielen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zum Beispiel in einem Unternehmen, das eine neue Marketingstrategie entwickeln möchte. 

Eine typische Situation lässt sich wie folgt vorstellen: Auf dem Tisch stehen Kekse. Nun werden die Teilnehmenden gebeten, sich einen Keks zu nehmen. Eine Person ist der Dirigent, der nun, während die Teilnehmenden in ihre Backwaren beißen, eine „Kekssinfonie“ dirigiert. Reihum wird die Dirigentenrolle weitergereicht. Es gibt laute, leise, schnelle, langsame Knabberabschnitte – und alle lachen. So mancher bekommt nach dieser Übung Lust, sich kreative neue Lösungsansätze für das Marketingproblem auszudenken. 

Bitte einmal freimachen! 

In einer Welt, in der das Leben instagramtauglich durchoptimiert sein muss, können solche Situationen natürlich erstmal peinlich sein. Schließlich haben wir alle Angst, zu versagen. Doch genau diese Angst überwinden die Teilnehmenden eines Humorseminars. Das zeigt sich bereits während der Vorstellungsrunde: Jeder stellt sich mit Namen vor und erzählt etwas, worauf er oder sie stolz ist an diesem Tag oder in dieser Woche, und findet dafür eine pantomimische Geste. 

Die anderen Teilnehmer wiederholen Namen und Geste in mehreren Runden, die immer schneller werden. Nun verhaspeln sich alle, peinlich ist gar nichts mehr – sondern nur noch lustig. Denn im Humorseminar müssen an dieser Stelle erfahrungsgemäß alle Teilnehmenden lachen. 

Was wir für den Alltag aus dieser Übung lernen können? Dass sich auch an schlechten Tagen etwas zu suchen lohnt, worauf man stolz sein kann, um sich so selbst aufzubauen. 

Ein Schwein im Konferenzraum

Wer kommt schon darauf, dass Steckdosen aussehen wie Schweinenasen? Bewusst wird das während einer „Fantasieübung“: Ein Teilnehmer wird blind vom anderen geführt, so wie eine Kamera. Das „Objektiv“ – also das Auge des Blinden – wird auf einen Ausschnitt ausgerichtet und durch einen kurzen Druck auf die Schulter wird der „Auslöser“ betätigt. Die Kamera – also der Geführte – öffnet die Augen. Nun beschreibt diese Person nicht, was sie sieht, sondern bedient sich ihrer Fantasie.

So kann die Steckdose zum Schweinerüssel werden oder auch zum Zugang zu einem anderen Planeten. Oder das Bild an der Wand beginnt zu leben. Oder im Wasserglas befindet sich die Südsee. Die Person, die die „Kamera“ führt, unterstützt mit einem enthusiastischen und von Herzen kommenden „Ja, genau!“. 

Der Rote Nasen Deutschland e.V.

Die Organisation arbeitet seit 2003 mit vielen renommierten Kliniken und Pflegeheimen zusammen. Derzeit kommen dort 30 speziell ausgebildete Clowns jedes Jahr mit rund 35.000 jungen und älteren Menschen bei regelmäßigen Clownvisiten in Kontakt. In der Weiterbildung „Humor in der Pflege“ zeigen speziell ausgebildete Trainer des Vereins, wie sich Humor in den Berufsalltag integrieren lässt.

Die Rote-Nasen-Gruppe ist in zehn Ländern tätig und damit die operativ größte Vereinigung von Clowns in medizinischen und sozialen Einrichtungen. Im internationalen Verbund besuchen jährlich mehr als 340 Clowns rund 707.900 Menschen in 790 medizinischen und sozialen Institutionen.

Die Teilnehmer merken nicht nur, wie beflügelnd die ungeteilte Zustimmung und wertfreie Unterstützung eines Partners ist. Sie kommen auch „aus dem Kopf“ heraus und erfahren einen Perspektivwechsel. Vielleicht fällt der Person, die in diesem Spiel die „Kamera“ ist, auch erst einmal gar nichts ein. Motto: „Hilfe, ich glaube, meine Optik klemmt!“ – und schon ist aus dem vermeintlichen Scheitern ein weiteres Spiel geworden. 

Hallo, Mister Flop

Der französische Clownlehrer Philippe Gaulier benutzt den Begriff „Mr. Flop“. Das ist der Zustand, wenn ein Künstler etwas auf der Bühne gemacht hat, was überhaupt nicht funktioniert. Etwa wenn der Clown auf der Bühne steht und einen Witz erzählt – doch keiner lacht. Für den Clown ist es wichtig, nicht über diesen Moment hinwegzugehen, sondern ihn zu halten. Der Clown scheitert, er stolpert und ist verletzlich. Das gilt auch für die Clowns in den Kliniken und für die Kinder, die sie besuchen. 

Ein Beispiel: Ein achtjähriger Junge leidet an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose und wird seit Monaten auf der Station behandelt. Das ist auch für seine Mutter, die immer an seiner Seite ist, nicht einfach. Der Künstler betritt das Zimmer und bemerkt sofort die angespannte Stimmung. Er probiert alles Mögliche: Musik, Jonglage, Akrobatik. Doch nichts funktioniert, die Stimmung verändert sich nicht. Als er einen Ballon aufbläst, hält sich die Mutter aus Spaß die Ohren zu. Der Clown nimmt das auf: „Super, dann können wir jetzt über deine Mutter sprechen. Schnarcht die eigentlich im Schlaf?“ Da lacht der Junge. Nach dieser eigentlich simplen Intervention, die aus dem Scheitern geboren wurde, ist das Eis gebrochen.  

Die Erfahrung lehrt, was wirkungsvolle Humorinjektionen sein können. Beispielsweise: 

  • Einen Perspektivwechsel erzeugen. Blafft einen der Kollege unvermittelt an? Tu etwas Unerwartetes! Zum Beispiel sich einmal im Kreis drehen und dann sagen: „Und jetzt noch mal von vorn!“

  • Muster durchbrechen. Sitzen alle lustlos und schweigend im Konferenzraum? Mit Humor nehmen: „Wie schön, alle freuen sich wie Bolle auf die Besprechung – das hört sich nach guter Stimmung an!“

  • Achtsam sein. Fehlt die Wertschätzung von „oben“? Ein humorvoller Umgang bedeutet, nicht zu schmollen, sondern umgekehrt Anerkennung auszuteilen oder sich mit einem offenen Lachen und einem Augenzwinkern sogar vor dem anderen selbst zu loben: „Ach, das habe ich aber heute sorgfältig erledigt!“

Humor betont das Menschliche und nimmt Fehlern den Schrecken. Er ist ein Innovationsförderer, er wirkt Stress entgegen. Er fördert die Kommunikation und den Teamgeist. Wie kann es gelingen, Humor und den daraus resultierenden Spaß in den beruflichen Alltag zu implementieren? Sicher ist: Bunte Möbel im Retrodesign, Kicker und eine Kaffeebar reichen nicht. Eine Arbeitsatmosphäre, die die innere Motivation steigert, erreicht man nicht (nur) durch Äußerlichkeiten. Eine innere Haltung macht den Unterschied.

Wir erinnern uns: Sogar im Kartenspiel ist der Clown oder Joker diejenige Karte, die man spielt, wenn vermeintlich nichts mehr geht. Doch vielleicht findet sich ja noch ein anderer Weg. Man muss sich nur trauen, ihn zu probieren. Den Joker hat jeder in der Hand.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPASS. Das Heft können Sie hier bestellen.

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