Wie die Bertelsmann Stiftung ihre Webseite neu aufgestellt hat

Relaunch samt Kulturwandel

Der Sicherheitsmann der Bertelsmann-Repräsentanz hat uns schon auf dem Videoschirm, als wir vor dem Gebäude nach Fotohintergründen suchen. Hinter der Tür des Stadtpalais Unter den Linden 1 elegante Architektur, diskrete Räume, abstrakte Kunst und perfekt geschultes Servicepersonal. Zu Besuch aus Gütersloh: Christian Rickerts, Leiter Corporate Communications der Bertelsmann Stiftung, und Benjamin Minack, Agenturchef von Ressourcenmangel. Beide verbindet die gemeinsame Arbeit am Relaunch der Stiftungs-Webseite, hinter dem ein ganzer Kulturwandel steckt. Seine Folge: Mehr Verantwortung für den Einzelnen.

Der Relaunch war ihr erstes gemeinsames Projekt: Benjamin Minack und Christian Rickerts beim Doppel-Interview in Berlin. (c) Julia Nimke

Der Relaunch war ihr erstes gemeinsames Projekt: Benjamin Minack und Christian Rickerts beim Doppel-Interview in Berlin. (c) Julia Nimke

Herr Rickerts, welche Rolle spielt die Stiftung im Bertelsmann-Universum?

Christian Rickerts: Die Stiftung wird finanziert durch die mittelbare Eigentümerschaft am Konzern und ist eine unabhängige Organisation mit dem Ziel, gesellschaftliche Veränderung herbei zu führen.

Im Vergleich zu anderen Stiftungen berühmter Konzernlenker hat diese keinen mildtätigen Zweck. Ist das Ausdruck der Haltung von Reinhard Mohn?

Absolut. Der Stifter hat sich damals bewusst für eine operative Stiftung entschieden. In dem Sinne arbeiten wir bis heute. Aus der Verantwortung die Reinhard Mohn gespürt hat, versuchen wir heuten gesellschaftliche Themen zu adressieren.

Sein Leitgedanke war Verantwortung. Wenn das Kleine für das Große steht – warum war der Relaunch der Stiftungs-Webseite nötig?

Aus verschiedenen Gründen: Wir brauchten zunächst dringend eine neue technische Basis. Die alte Homepage wurde vor zehn Jahren konzipiert und war hoffnungslos veraltet. Es gab aber auch einen inhaltlichen Grund: Wir kommunizieren sehr zentral, arbeiten aber gleichzeitig wegen der Fülle aus 15 Programmen und mehr als 60 Projekten dezentral und in einem breiten Themenfeld. Ob eine Studie zur Einkommensschere, einem Nachbericht zur Wahl in Hamburg oder einem Opern-Nachwuchswettbewerb – wir haben diverse Zielgruppen und brauchten eine Plattform, auf der alle Projekte kommunizieren und in den Dialog mit ihren jeweiligen Stakeholdern treten können.

Ist der Relaunch somit auch Ausdruck der digitalen Umformung der Organisation?

Bei der Bestandsaufnahmen stießen wir auf 3.500 Einzelseiten mit 7.000 Dokumenten, auf ein Web-Universum mit 60 externen Seiten mit eigener URL – da war es nötig, sich gemeinsam mit der gesamten Organisation zu überlegen, wie man das auf eine neue Basis stellt. Mit dem Relaunch haben wir einen Prozess gestartet, der nicht nur technisch war, um im CMS die richtigen Knöpfe zu drücken. Wir haben vielmehr alles von der Konzeption bis zum Roll-out gemeinsam mit breiter Beteiligung aller Stiftungsmitarbeiter aufgesetzt. Das war ein sehr besonderer Prozess, den bekommt man nicht von der Stange.

Und wann kamen Sie auf Agenturseite ins Spiel, Herr Minack?

Benjamin Minack: Vor etwa 18 Monaten. Im Oktober 2013 gab es ein erstes Kennenlernen mit dem interdisziplinären Projektteam. Die Teilnehmer vertraten die unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen der Stiftung.

Gab es einen klassischen Pitch?

Minack: Es war ein zweistufiges Verfahren: Erst eine Vorauswahl der schriftlichen Einreichungen, dann ein persönliches Vorgespräch vor Ort.

Mutig, sich für eine Agentur zu entscheiden, die ausgerechnet Ressourcenmangel heißt.

Rickerts: Der Name war auch ein kommunikatives Element und hat gerade in der Angebotsphase die meisten Nachfragen provoziert.

Wer saß denn noch im Projektteam?

Rickerts: Das Kernteam bestand aus drei Menschen: einem Kollegen aus der IT und zwei Kollegen aus dem Bereich Strategische Kommunikation. Der Lenkungskreis war besetzt mit Mitarbeitern aus der Kommunikation, der IT und Programmvertretern. Wir haben bewusst die beiden Programmdirektoren der Bereiche Wirtschaft und Gesundheit ausgesucht, sie haben die meisten externen Webseiten.

Minack: In der Umsetzungsphase schickte jedes der 15 Programme einen Vertreter in die Runde mit der Aufgabe, die Arbeit zu koordinieren und für uns ein Sounding Board zu sein. Das funktionierte so gut, dass wir das bis heute beibehalten haben.

Sie hatten es also auf Agenturseite mit vielen Menschen zu tun. Anstrengend?

Minack: Obwohl es sehr viele Beteiligte waren, gab es immer klare Kommunikation in unsere Richtung und nicht zwölf verschiedene Ansprechpartner mit 47 verschiedenen Meinungen. Natürlich gab es viele unterschiedliche Charaktere und wir haben viele Sichtweisen kennen gelernt, was ein solches digitales Projekt für die Stiftung und jeden Einzelnen gefälligst zu leisten hat, aber man merkte, die Organisation ist erfahren im Beseitigen von Konflikten.

Startseite der neuen Web-Präsenz. (c) Julia Nimke

Startseite der neuen Web-Präsenz. (c) Julia Nimke

Gab es große Kulturunterschiede?

Rickerts: Zwischen musischen oder wissenschaftlichen Themen gab es natürlich unterschiedliche Erwartungshaltungen darüber, was eine Webseite leisten kann und muss. Aber wenn man genug Möglichkeiten bekommt, das eigene digitale Leitbild auszuleben, ist es leicht, mitzumachen.

War Ihre Rolle dann vor allem Moderation?

Rickerts: Es war auf jeden Fall mehr Moderation, Kooperation und Organisation als bei anderen Web-Projekten (lacht). Wir wollten ja Teilhabe, das lief nicht immer konfliktfrei. Da wurde viel und intensiv gerungen aber am Ende gab es Kompromisse und ausdiskutierte Lösungen.

Wie lange dauerte der Prozess?

Minack: Die Konzeption nicht einmal sechs Monate.

Rickerts: Wir sind im Herbst 2013 gestartet, im Vorwege gab es nur einige Voranalysen. Fertig waren wir im Dezember 2014 nach der CMS-Schulung von 120 Mitwirkenden und Redakteuren.

Inwiefern hat sich der Relaunch von der Organisationsstrategie abgeleitet?

Rickerts: Auch mit dem Relaunch wollten wir eine große Themenvielfalt adäquat nach außen spiegeln. Es ging um die richtige Mischung aus zentraler und dezentraler Kommunikation. Das war ein partizipierender Prozess, mit dem Thema beschäftigen wir uns ja auch inhaltlich. Wir haben allerdings nicht gedacht, dass wir deshalb auch ein entsprechendes Web-Projekt machen. Es ging eher um: Was brauchen wir? Wie brauchen wir es? Und wie kommen wir da hin?

Minack: Von Beginn an war uns wichtig, was kommt NACH dem Relaunch? Wie lebt die Seite weiter? Wir mussten also auch neue Formate entwickeln, die wir aus der klassischen Kommunikationswelt übersetzen konnten. Wenn wir erst am Tag des Launches darüber gesprochen hätten, was die Redakteure tun sollen, wäre das Projekt gescheitert. Zu Recht. Zugänglichkeit war ein wichtiger Aspekt. Und die komplexe Themenlage eine echte Herausforderung für uns als Agentur. Natürlich soll der Nutzer Informationen, Ansprechpartner und Publikationen schnell finden – aber vor allem soll er die Zusammenhänge der einzelnen Themenfelder erkennen.

Rickerts: Es ging uns um den Audience Flow: Wo findet der Leser ähnliche Themen, die ihn auch interessieren? Wir wollten die Themenfelder Gesellschaft, Bildung, Wirtschaft, Kultur, Demokratie und Gesundheit organisieren und Themenräume schaffen. Zum Beispiel gibt es bei der Medizin Parallelen zum Thema Arbeitswelt. Da gibt es Überschneidungen, die vorher nicht transparent waren.

Minack: Wir mussten die Struktur der Stiftung so erzählen, dass der Nutzer nicht 68 Projekte in einer Liste angeboten bekommt. Der Leser soll nicht denken „Oh, das ist aber eine große Stiftung“, sondern neue Perspektiven auf sein Thema bekommen.

Es gibt also immer mindestens zwei Wege zu jedem Content?

Rickerts: Die alte Webseite war an der Organisationsstruktur der Stiftung ausgerichtet. Das ist sehr funktional, aber wenn man sich darin nicht auskennt, ist sie nicht selbsterklärend. Wir haben diese Themenfelder neu entwickelt. Auch das war ein intensiver Prozess, denn alle Beteiligten mussten aus der eigenen Organisationeinheit hinaus denken in ein Themencluster. Sie bespielen Räume, die sie nicht länger exklusiv haben.

Wie schafft man diesen Aufbruch des Silodenkens?

Minack: Die Stiftung an sich hat ja schon eine starke verbindende Kultur. Sie ist kein mittelständisches Unternehmen mit 400 Niederlassungen, die so geführt werden, wie es sich der jeweilige Chef denkt, sondern es gibt einen gemeinsamen Spirit, den man spürt, sobald man von außen dorthin kommt. Jeder möchte, dass die eigenen Themen gut inszeniert werden. Aber die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass das besser im großen Kontext gelingt jenseits des eigenen Erbhofs. Dafür gab es zahlreiche Workshops: Wie entsteht eine Themenseite? Wie inszeniert man Themen? Und wie entwickelt man neue Formate für sie?

Auf der Startseite ihrer Agentur-Homepage sieht man eine eierlegende Wollmilchsau aus Plüsch. Fotomontage oder echt?

Minack: Die gibt es wirklich, sie steht bei uns in der Berliner Unit.

Aber heute geht es nicht um Tausendsassa sondern um das Einfangen des Individuums. Wie erzeugen Sie persönliches Gemeintsein abgesehen von einer Bildsprache mit Menschen?

Minack: Bei der Bertelsmann Stiftung kommt man nicht zufällig vorbei. Das setzte Themenaffinität voraus. Das schaffte die erste Klammer. Wenn jemand von sich aus ein bestimmtes Thema sucht, können wir ihm die bestmögliche Aufbereitung anbieten. Die muss so wertig sein, dass sie einen Erkenntnisgewinn und Mehrwert bietet und zugleich die Leistung der Stiftung hinreichend gut darstellt.

Rickerts: Wir haben zwei klassische Nutzer: Die einen sind getriggert von einer unserer Studien, die aktuell in den Medien ist, und wollen mehr dazu nachlesen. Die anderen sind an einem Themenfeld an sich interessiert. Wenn der Kommunalkongress in Berlin läuft, wird eben viel zu kommunalen Themen gesucht. Und wir müssen die Themen dann möglichst breit erzählen und zeigen, welche Position wir haben. Wenn der Nutzer einerseits individuell angesprochen werden soll und wir gleichzeitig die Stiftung als Ganzes wahrnehmbar machen wollen, ist das eine Herausforderung. Darum haben wir den zentralen Bereich Strategische Kommunikation und parallele dezentrale Strukturen, die von denen bespielt werden, die ihre jeweilige Zielgruppe am besten kennen. Das bringt ein hohes Maß der Eigenständigkeit.

Baustelle Webseite abgeschlossen: Minack und Rickerts. (c) Julia Nimke

Baustelle Webseite abgeschlossen: Minack und Rickerts. (c) Julia Nimke

Wie organisieren Sie das zentrale Themenmanagement?

Rickerts: Wir haben mehr als 30 Kollegen im Kommunikationsbereich, davon arbeiten fünf ausschließlich für unsere digitalen Plattformen. Es gibt einen monatlichen Themenplan und wir haben jeden Morgen ein Daily Stand-up und eine enge Verbindung mit dem Medien-Team.

Minack: Das Online-Team sitzt aber nicht im Keller sondern ist integraler Bestandteil der Kommunikation. Das hat sich als vorteilhaft erwiesen. In der Organisation hieß es nicht „die Onliner machen eine neue Webseite“, sondern „die Kommunikation stellt sich digital neu auf“.

Rickerts. Und so half der Relaunch auch der gesamten Kommunikation weiter.

Welches Konzept hat die neue Bildsprache?

Rickerts: Da gab es einen großen Switch, denn heute stehen Bilder stark im Vordergrund. Wir haben ein Konzept erstellt, Shootings beauftragt und uns ein technisches Media Asset Management zugelegt, das fest mit dem CMS verbunden ist.

Minack: Das Thema Bildsprache war das einzige anstrengende im ganzen Projekt. Ein Bild schafft schnell Emotionen, ein Text braucht dafür länger. Es galt, einen Standard zu schaffen, der auch im Folgebetrieb zu halten ist. Ein gutes Shooting bringt 200 Bilder – aber was ist in drei Monaten? Ein Bild soll kein abstraktes Werk sein und darf nicht konstruiert wirken. Wir wollten echte Menschen. Keine aus dem Stock-Katalog sondern in einer Handlung, die konkret etwas mit dem jeweiligen Projekt zu tun hat.

Rickerts: In einer Organisation, die viel über Veranstaltungen wirkt, muss man schon erklären, dass drei Leute auf einem Podium nicht immer gut wirken. Wir wollen Menschen im Vordergrund, die aber nicht aufgestellt wirken sondern situativ in der Bewegung erscheinen.

Wer sucht die Bilder aus?

Rickerts: Unser eigenes Team für Corporate Design und Grafik innerhalb des Kommunikationsbereiches. Dort ist auch das Media Asset Management beheimatet. Die Autoren wählen zwar auch Bilder aus, aber dieses Team ist der Flaschenhals zum Einspeisen ins System. Vor dem Hochstellen sind immer noch ein kurzes Draufschauen und ein Dialog mit der Online-Abteilung nötig.

Die Freigabe im CMS kommt aus der zentralen Kommunikation?

Minack: Ja. Aber das läuft alles elektronisch, da muss niemand irgendwo anrufen.

Sind Rechte und Rollen für jeden Autor im CMS hinterlegt?

Rickerts: Ja. Die Projektkommunikation läuft ohne Freigabeprozess, aber die Inhalte auf der Startseite sind zentral kuratiert.

Welche Themen laufen besonders gut?

Rickerts: In der Breite sind alle Themen nachgefragt. Aber wenn zum Beispiel eine Studie zur Einkommensschere oder der Start des Opernnachwuchswettbewerbs aktuell sind, gehen auf unserer Seite die Zahlen in den jeweiligen Themen hoch.

Wonach haben Sie entscheiden, was im Rahmen des Relaunches raus fliegt?

Minack: Das haben die Projekte selbst entschieden. Es gab die Ansage: „Jeder kann alles mitnehmen, aber muss sich dann auch darum kümmern.“ Das war ein einfaches Disziplinierungs-Tool: Übrig blieb, was relevant ist. Das hätten wir nicht zentral entscheiden können.

Rickerts: Aber viele Inhalte sind auch neu entstanden, weil wir für die Themencluster klammernde Inhalte brauchten.

Beim Relaunch unserer Webseite haben wir zu einem bestimmten Datum einen Cut gemacht.

Rickerts: Das haben wir auch überlegt. Aber bei der Stiftung gibt es ja Menschen, die seit vielen Jahren an einem Thema arbeiten und die Historie ist wichtig, um den Inhalt in Gänze zu erfassen.

Minack: Es gab auch inhaltliche Formate, die sich überholt hatten. Ich brauche keine Pressemitteilung von 2007 – es sei denn, sie ist das Einzige, was an ein abgeschlossenes Projekt erinnert. Für alles andere haben wir eine große CD gebrannt für das noch größere Archiv.

Welche Rolle spielt Content Marketing für die Stiftung?

Rickerts: Bis jetzt eine relativ geringe. Unsere wichtigsten Treiber sind die Pressearbeit und Veranstaltungen.

Minack: Aber hinter der Oberfläche sind die technischen Voraussetzungen und Schnittstellen nach außen dafür schon gegeben. Content Marketing ist im stiftungsangemessenen Sinne möglich. Plumpes Native Advertising würde technisch auch gehen, aber das ist nicht das Ziel.

Rickerts: Das ist dann die nächste Phase: wir müssen uns positionieren, was für eine gemeinnützige Organisation angemessen ist, die sich auf politischen Themenfeldern bewegt. Hier geht es ja nicht um Verkauf.

Sie sind ja nicht mehr lange bei der Bertelsmann Stiftung. Diese Diskussion werden Sie nicht mehr führen. Schade?

Rickerts: Ja.

Minack: Das steht aber schon im Projektplan (lacht).

Doppel-Interview mit Chefredakteurin Hilkka Zebothsen in Berlin (c) Julia Nimke

Doppel-Interview mit Chefredakteurin Hilkka Zebothsen in Berlin (c) Julia Nimke

Die Positionierung der zentralen Kommunikationsabteilung hat sich sicher auch geändert. Wie schaffen Sie es, dass bei der dezentralen Umstellung trotzdem alle dem CD und der CI folgen und dieselbe Bildsprache einhalten?

Rickerts: Indem wir für die gesamte Organisation dieselben Tools und Prozess nutzen. Es gibt Guidelines und wir schulen nicht nur das CMS sondern treffen auch prozessuale Verabredungen. Wir haben den Relaunch ins weitere Geschäft übertragen: Es gibt einen regelmäßigen Austausch über Best Practices der Programmverantwortlichen und die zentrale Kommunikation bekommt schon mit, wenn jemand versucht, das CMS kreativ auszutricksen (lacht). Durch ein Jahr enger Zusammenarbeit stellte sich auch an anderen Stellen mehr Nähe ein. Und zur Kultur gehört auch ein gewisses Maß an Vertrauen und Gelassenheit.

Haben sich die Content-Lieferanten und Redakteure gefreut über die lange Leine oder gab es auch Überforderung?

Minack: Es gab auch Überforderung. Jede Veränderung ist schmerzhaft: Man muss Altes hergeben und sich auf Neues einstellen können, das fällt nicht jedem leicht. Aber die Grundbereitschaft zur Veränderung war überall da und jeder wusste, wo er hinwollte.

Rickerts: Beim Go Life haben wir alle Beteiligten in unser Foyer geladen und die Startseite als großes Puzzle präsentiert. Jeder griff zu einem Teil des Ganzen und das letzte Stück brachte der Vorstand, das war ein Zeichen der Wertschätzung. Man muss auch Danke sagen, denn das Projekt lief ja zusätzlich zu den täglichen Aufgaben.

Gab es während des Projekts auch große Überraschungen?

Minack: Ja, es gibt viele garstige Taxifahrer in Gütersloh. Die Fahrt vom Bahnhof zur Stiftung kostet normalerweise zehn Euro. Es gibt einen Fahrer, der kassiert das pro Person. Und er hat mit viel Vehemenz darauf bestanden, dass meine Kollegen seinem Zahlungswunsch auch nachkommen (lacht).

Rickerts: Was? Das wusste ich nicht.

Minack: Naja, die Kollegen sahen das als lokales Entertainment. Davon gibt es in Gütersloh ja sonst nicht so viel.

Rickerts: Ich fahre gelegentlich selbst Taxi und hatte bisher keine schlechten Erfahrungen. Vielleicht versuchen die Taxifahrer das nur bei Menschen, die am Bahnhof einsteigen und offensichtlich keine Bertelsmann-Mitarbeiter sind. Mich überraschte, wie nahtlos wird durch diesen gesamten Prozess gegangen sind. Ein solches Projekt gibt es ja nicht von der Stange und es ist mit einem großen Maß an Unsicherheit verbunden.

Therapeutische Fähigkeiten waren von Ihnen nicht gefordert?

Rickerts: Nein.

Minack: Nö.

Kommen wir zum Controlling. Wie waren die Zahlen?

Rickerts: Im Vergleich zum Vorjahr gab es in den ersten drei Monaten seit dem Relaunch eine Steigerung der Besucherzahlen von 35 Prozent und der Page Impressions um 91,5 Prozent. Im Schnitt besuchten die Nutzer fünf Seiten, vor dem Relaunch waren es drei.

Minack: Und die Ansichtszeit pro Besucher stieg um zwei Minuten auf viereinhalb bis fünfeinhalb Minuten.

Stichwort „Haltung“: Das hat durch die Persönlichkeit von Reinhard Mohn eine besondere Bedeutung. Welche spielt Haltung heute noch bei Führungskräften?

Rickerts: Haltung spielt generell im Leben eine wichtige Rolle und ist eines der zentralen Dinge, die heute von Führung gefragt ist. Dieses Projekt ist Ausdruck der Haltung, wie wir Kommunikation verstehen

Minack: Ohne eine Haltung und Führung wäre dieses Projekt zum Scheitern verurteilt gewesen. Es ging durch alle Ebenen um Transparenz und Verbindlichkeit, dass kleine und große Zusagen eingehalten werden. Es ging darum, auch kritisch zu diskutieren, sich immer wieder neu zu challengen und sich weh zu tun (lacht).

Sie suchen als Agentur bewusst den Schmerz?

Minack: Wir fragen unsere Kunden gerne: „Haben Sie noch so ein schönes Problem für uns?“ Die Bertelsmann Stiftung war für uns ein prototypischer Kunde: Komplexe Organisationsstruktur und schwierige Themenlage – das finden wir gut. Schokoriegel und Turnschuhe sind nicht unseres. Die sind vielleicht sexy. Aber langweilig.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.