Vom Zusammenbringen der Lebenden und der Toten

Herr Hillermann, wenn Sie auf einer Party Ihren Beruf verraten – ist das Gespräch dann schnell vorbei?

Christian Hillermann: (lacht) Dass ich Bestattungsunternehmer bin, hat automatisch Nachrichtenwert und macht neugierig, aber verstummt ist deswegen noch keiner. Mein Beruf ist bereichernd und stiftet Bewusstheit. Er erinnert die Anderen permanent an die eigene Sterblichkeit. Ich muss die Gespräche oft eher bremsen, denn im Privaten bin ich des Themas manchmal müde.

Was ist die Grundvoraussetzung für diesen Beruf – eine Haltung zum Leben?

Unbedingt. Er hat auf alle Fälle Auswirkungen auf mein Sein. Ich sehe den Beruf des Bestatters als sozialen Beruf, ähnlich wie Therapeuten, Sozialarbeiter oder Pädagogen, die in speziellen Lebenssituationen anderer tätig sind. Nicht von ungefähr sind bei Trostwerk alle zwölf MitarbeiterInnnen Quereinsteiger.

Und die wichtigste Aufgabe ist Eigenschutz?

Natürlich kann man diesen Job sehr abgegrenzt machen, aber dann macht man ihn nicht gut. Wir müssen eine bestimmte Berührbarkeit haben und Empathie anbieten. Im Schnitt betreuen wir drei bis vier Familien parallel über zwei bis vier Wochen. In der beinahe therapeutischen Situation steckt viel Offenheit. Es entsteht ja immer auch etwas sehr Schönes. Aber wir machen mit den Familien am Ende der Begleitung ganz bewusst ein extra Abschlussgespräch – auch für uns. Man muss als Bestatter gut auf sich achten, damit man nicht mit den Dramen anderer vollläuft. Die Balance zwischen Empathie und Abgrenzung ist wichtig.

Warum wurden Sie Bestatter?

Bei mir waren es unschöne Erlebnisse rund um zwei Todesfälle in der Familie und im Freundeskreis. Als aufbegehrender Geist dachte ich, das muss doch besser gehen.

Wer entscheidet heute bei Ihnen über die Ausgestaltung einer Bestattung – der Verstorbene oder seine Angehörigen?

Die Rituale sind ja vor allem für die Angehörigen. Es geht darum, das Loslassen aktiv zu gestalten. Alle Beteiligten fragen sich aber natürlich, was hätte sich der Verstorbene gewünscht, da müssen wir die besten Kompromisse finden.

Prosaisch gesprochen: Wer ist eigentlich Ihre Zielgruppe?

Unsere Zielgruppe sind aufgeklärte Bildungsbürger zwischen 45 und 65. Es ist die Kindergeneration der heute Alten. Sie sind bewusste Konsumenten, die zum Beispiel beim Umgang mit dem Tod ihrer Eltern nicht vor allem Pietät und Takt suchen, sondern ihre eigenen Belange selbstbestimmt regeln wollen. Wir haben auch Kunden, die zwischen 40 und 60 Jahren an Krebs sterben. Darunter sind viele Alt-68er. Sie sind geprägt von großer Individualität und stellen Konventionen in Frage. Immer mehr kommen in ihrer letzten Lebensphase selbst und wollen sich rund um ihre Bestattung aktiv einbringen.

Menschen denken, Sie haben es geschäftlich leicht: „Gestorben wird immer“ hören Sie sicher häufiger. Gibt es trotzdem einen Markt?

Ja! Die Zeit des aufgeteilten Markts mit einem Bestatter pro Stadtteil ist vorbei. Es gibt eine Abkehr von Traditionsbestattern: Einerseits suchen Weiterlebende mehr Individualität und das Besondere. Andererseits werden immer mehr Menschen billig und anonym bestattet. Das setzt den traditionellen Stadtteilbetrieb gleich von zwei Seiten unter Druck. Klar, der Kuchen ist weiterhin da – aber er wird heute anders aufgeteilt. Wer sich nicht bewegt, verliert.

Welche ist Ihre Hauptbotschaft?

Es gibt mehrere:

  • 1.Tote sind keine „Sachen“ – Verstorbene sind Persönlichkeiten. Tote sind extrem schutzbedürftige Personen, die unserer Fürsorge bedürfen.
  • 2. Seid offen für moderne Lebensentwürfe. Alles ist möglich im Abschiednehmen: Es ist ein weites Feld der Freiheit.
  • 3. Kümmert Euch um Euch und nehmt Euch Zeit. Lebt und drückt Eure Trauer aus. Man darf Dampf ablassen und ihn kreativ umlenken. Je mehr am Anfang im Guten passiert, desto besser gelingt die langfristige Trauerarbeit.

Ihr Claim ist „Andere Bestattungen“. Wie kommunizieren Sie den?

Wir müssen das „Anderssein“ kommunizieren. Uns war klar, dass wir damit provozieren. Vor allem die Branche echauffiert sich, denn bisher gab es die unausgesprochene Regel, dass Einzelbetriebe keine Werbung machen, weil die Menschen das Recht hätten, sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen zu müssen. Außer über die Schaufenster ihrer Büros waren Bestatter nicht sichtbar. Unsere Räume sind sehr transparent gestaltet und von außen gut einsehbar. Es gibt Führungen und Vorträge, um unsere Arbeit kennen lernen zu können.

Und das provoziert?

Offenbar. Und wir haben zum Beispiel Postkarten mit auf dem Kopf stehenden Cowboystiefeln und dem Slogan „Wie lebendig möchten Sie begraben werden?“ gedruckt. Ein anderer Text lautete „Wie persönlich nehmen Sie Ihren Tod?“ Dann haben wir auch noch mehrfach die lokale Presse bedient, da warf uns die Konkurrenz Inszenierung vor.

Und ohne Provokation – wie gelingt die persönliche Ansprache Ihrer Zielgruppe?

Unsere Mitarbeiter tragen keine schwarzen Anzüge sondern authentische Kleidung. Wir kondolieren zwar, aber sagen zur Begrüßung neuer Kunden nicht „herzliches Beileid“ – schließlich sind wir nicht Teil ihrer hochemotionalen Situation. Und statt „Hinterbliebene“ sagen wir „Weiterlebende“. Auch den Begriff „Leiche“ nutzen wir nicht. Wir arbeiten nicht nach DIN-Norm, denn darin geht es um schnelle Versachlichung und Verdinglichung.

Was genau stört Sie daran?

Vor allem die Unsichtbarmachung des Todes. Ich finde es falsch, wenn Angehörigen von Bestattern nahe gelegt wird, ihre Toten lieber so in Erinnerung behalten wollen, wie sie waren, als sie noch lebten. Wir sollten ihnen lieber auch im Tod Nähe, Wertschätzung und Respekt entgegenbringen. Wir möchten die Toten und die Lebenden zusammen bringen.

Haben Sie einen Plan für Ihre eigene Bestattung?

Ja, den habe ich. Aber der ändert sich je nach Lebensphase und Musikgeschmack (lacht).

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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