SWR: Die Elefantenrunde und der Shitstorm

Medienkommunikation

Mitten im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg geriet der SWR zwischen die Fronten und in einen Shitstorm, weil die SPD in beiden Bundesländern und Grüne in Baden-Württemberg nicht mit der AfD an der üblichen „Elefantenrunde“ im Fernsehen teilnehmen wollten. Auf ein alternatives Sendekonzept, das unter anderem Einzelinterviews vorsah, wollte man sich ebenfalls nicht einlassen. Die Folge: Proteste von allen Seiten. Mittendrin: Pressesprecherin Anja Görzel.

Frau Görzel, was war für Sie persönlich das Besondere an dieser Situation?

Anja Görzel: Mir wurde bewusst, dass in diesem Fall die Machtfrage zwischen Politik und Medien gestellt wurde. Als die SPD die Teilnahme an der Elefantenrunde absagte, wenn die AfD dabei wäre, sprangen in Baden-Württemberg auch die Grünen auf wegen der Regierungskoalition. Der SWR hat daraufhin ein alternatives Sendekonzept entwickelt, das unter anderem Einzelinterviews vorsah, um alle relevanten Parteien, die Chance hatten, in den Landtag einzuziehen, zu präsentieren. Doch am Ende wurden wir dafür bestraft, dass die Politik das nicht mittragen wollte, und es folgte ein Eiertanz über drei Wochen, bis die Parteien einsahen, dass sie sich der Diskussion mit der AfD stellen müssen.

Wie war die Tonalität innerhalb dieser Metadiskussion?

Dem SWR wurde vorgeworfen, er ließe sich von der Politik unter Druck setzen. Es hagelte von allen Seiten Proteste. Doch was hätte das Publikum davon gehabt, wenn im Fernsehen leere Stühle in der Elefantenrunde gezeigt worden wären? Immerhin besteht für öffentlich-rechtliche Sender Informationspflicht über die Inhalte der politischen Parteien.

Gab es jemals die Idee, mit einer entsprechenden Anmoderation doch genau diese leeren Stühle zu zeigen?

Nein, die gab es nie. Weil wir durch den Rundfunkstaatsvertrag die Verpflichtung haben, relevant zu berichten und die einzubeziehen, die nach den Prognosen die Chance haben, in den Landtag einzuziehen. Daher hatte der SWR ein abgestuftes Verfahren entwickelt, um all diesen Parteien gerecht zu werden.

Wie hätte das alternative Sendekonzept denn ausgesehen?

In der ersten Runde sollten nur die im Landtag vertretenen Parteien sitzen. Mit deren Parteivorsitzenden hätte ein Moderator ein Streitgespräch geführt. Nach ein paar Tagen sagte dann in Rheinland-Pfalz die CDU, sie möchte sich nicht allein mit der SPD und den Grünen in einer Runde auseinandersetzen. Das wäre nicht repräsentativ. Und damit kippte das Ganze, denn so ging’s gar nicht. Am Ende hat der SWR-Intendant Peter Boudgoust nochmal an alle appelliert, in die avisierte große Elefantenrunde zu kommen und sich der Diskussion mit der AfD zu stellen. Damit war für den SWR wieder alles offen. Und nach und nach scherten die Politiker, erst die SPD in Rheinland-Pfalz, dann die SPD und Grüne in Baden-Württemberg wieder ein.

Als öffentlich-rechtlicher Sender sicher eine besondere Herausforderung…

Ja, weil wir einen demokratischen Auftrag haben. In anderen Ländern gibt es eine Elefantenrunde in der Art gar nicht.

Sie sagten eben, es wurde Druck ausgeübt. Wie?

Ein Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung rief an mit der Info, dass der SPD-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg sich vorstellen könne, mit der AfD zu diskutieren – allerdings nicht im Fernsehen, sondern bei einer Zeitung auf dem Podium. Da könnten wir dann ja auch ein TV-Team des SWR hinschicken. Das war schon absurd. Sigmar Gabriel griff direkt über Spiegel online den Intendanten an, um die SPD-Verweigerungshaltung zu manifestieren.

Welche Rolle spielten Ihre eigenen Kollegen, also die Medienmacher des SWR?

Für die war es doppelt schwer. Wir sind eine Medienanstalt und gleichzeitig ein Unternehmen mit einer Geschäftsleitung, die in alle Richtungen verhandelt und Zeit braucht, um Konzepte zu erstellen. Unsere eigenen Journalisten haben wahrgenommen, dass es eine Unternehmensstrategie gibt, weil sie plötzlich über ihren eigenen Arbeitgeber berichten mussten. Dabei gingen sie davon aus, dass ihnen Entscheidungen kurzfristig mitgeteilt werden, weil sie ja im selben Haus sind. Es war eine sehr komplexe Situation und sie konnten oft nicht nachvollziehen, was da so lange dauert.

Warum dauert es denn so lange?

Weil die Gespräche mit den Parteien immer weitergingen. Der Intendant und der Chefredakteur haben versucht, die Parteien dazu zu bewegen, doch an der Elefantenrunde teilzunehmen und sich der Diskussion mit der AfD zu stellen.

Presseanfragen kamen aus dem In- und Ausland und zudem noch von den Redaktionen im SWR und der ARD. Es war ein Thema für die Tageschau wie auch für meinungsführende Zeitungen und Online-Medien; nicht zu vergessen die regionalen. Es gibt allein in Baden-Württemberg noch 30 Tageszeitungen.

Haben Sie jetzt eine lange Spickliste, wie man möglichst charmant „noch nicht“ sagt?

Ja. (lacht) Alle Entscheidungen des Unternehmens müssen natürlich zuerst ins Haus kommuniziert werden. Gleichzeitig ist das eine oder andere durch die Parteien schon früher durchgesickert. Da dies erstmal verifiziert werden musste, waren wir zeitlich in der Kommunikation im Verzug.

Wenn permanent Leute anrufen und sagen, sie wüssten etwas Neues, aber du dich nicht äußerst, heißt es schnell, du mauerst, denn es glaubt dir niemand, dass du auch nicht mehr weißt. Bei Parteien, das zeigt die Erfahrung, sind die Grenzen oftmals nicht so dicht. Schön war auch der Anruf eines Reporters mit Insiderinformationen der Grünen, die sich zu einem Thema am nächsten Tag offiziell äußern wollten – aber der SWR sollte heute, also quasi am Vortag schon etwas dazu sagen. Da muss man stark bleiben.

Und wenn man als Sprecherin sagt, man wisse etwas nicht, heißt es schnell, man habe den Laden nicht im Griff.

Genau, und das alles mal zwei Bundesländer.

Was war Ihr Vorgehen?

Die Situation hielt über drei Wochen an und wir starteten klassisch mit einer Pressekonferenz. Durch den hauptsächlich durch AfD-Anhängern verursachten Shitstorm über alle Social Media-Kanäle im SWR – das sind mehr als hundert – haben wir neben Pressemitteilungen auch mit Tweets und Facebook-Messages reagiert. Permanent wurden Anfragen beantwortet, Interviews vermittelt. Auf unseren Online-Unternehmensseiten haben wir die Fakten erklärt und immer wieder aktualisiert.

Wir wollten überall die gleiche Botschaft senden. Denn eine Pressemitteilung von hundert Zeilen passt schlecht in 140 Zeichen und lässt sonst zu viel Raum für Interpretation. Also haben wir intern und extern insofern gekoppelt, als dass wir die Botschaften über unseren SWR-internen Verteiler verschickt haben, die von dort nach außen gestreut wurden, um wenigstens da die Nachrichtenhoheit zu haben.

Wie groß war Ihr Krisen-Team?

In der akuten Phase waren wir in der Pressestelle zu dritt. Als Unterstützung hatte ich zwei Kolleginnen, die sonst die Regelkommunikation für die Wahlsendungen der beiden betroffenen Bundesländer machen. Wir haben ganz eng mit Intendanz, Programmdirektionen, Justitiariat und Chefredaktion zusammengearbeitet.

Hatten Sie externe Dienstleister?

Nein, das haben wir alles mit internen Kräften gemacht. Auch wenn es nicht einfach war, zum Beispiel als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung eine Dokumentation zu den Wahlsendungen der vergangenen Legislaturperioden haben wollte und meine beiden Kolleginnen alles aus dem Archiv besorgen und aufarbeiten mussten. Nach außen gesprochen habe nur ich, das machte es leichter – und dass in der Intendanz nur ausgebildete Journalisten arbeiten, die sind an schnelles Formulieren gewöhnt und kennen sich aus.

Welchen Einfluss hatte die Kommunikation auf die Reputation – und wo gar keinen?

Die Pressekonferenzen war als Instrument wichtig. Die, die gekommen sind, konnten unserer Argumentation eines alternativen Wahlkonzepts folgen. Wer nicht dabei war, beschäftigte sich auch nicht mit den Inhalten unserer Pressemitteilung. Deren Reaktion war umso heftiger, weil sie durch die sensationsheischende Online-Berichterstattung einer einzigen Regionalzeitung bereits präjudiziert war und ohne Hinterfragen übernommen wurde. Das ist auch eine Erkenntnis. Lieber abschreiben statt recherchieren. Direkte persönliche Kommunikation ist da extrem wichtig für Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit.

Man darf den Kopf nicht verlieren bei einer langen Telefon-Rückrufliste, sondern jedem von Neuen die Hintergründe erklären, auch wenn man die wenigsten Fragen einfach mit Ja oder Nein beantworten konnte. Das war vor allem wichtig im Umgang mit Kritikern: Als die Rhein-Zeitung uns in Blogs runterschrieb, durften wir nicht unverschämt werden.

Sie waren selbst lange politische Journalistin – inwiefern beeinflusst das Ihren heutigen Job?

Sehr, weil ich die Mechanismen der Journalisten kenne, wusste ich, was kommt. Journalisten haben eigene Kontakte zu Politikern und die SWR-Kollegen gingen viel gnadenloser mit dem eigenen Unternehmen um als diejenigen, die die Situation von außen betrachteten. Gerade ihnen gegenüber war es wichtig klarzumachen, dass ich den Job beherrsche, nicht mutwillig mauere oder als „Sesselpupser in der Pressestelle“ etwas verhindern will. Das brachte Glaubwürdigkeit für beide Seiten.

Wonach haben Sie entschieden, wen Sie zuerst zurückrufen?

Das war abhängig von der Relevanz. Ich rief den Tagesspiegel eher an als ein mir unbekanntes Privatradio, das ich erst einmal googeln musste. Mainstream-Medium geht vor special interest beziehungsweise wenig Reichweite. Aber alle haben eine Antwort bekommen.

Galt Bewegtbild vor Print?

Nein, eher Online vor allem anderen.

Hatten Sie zwischendurch Zweifel an der Strategie?

Ich stelle mir die Frage, ob wir manchmal zu schnell reagiert haben mit vielen Botschaften oder ob das ansprechend war für die heutige Zeit – ich weiß es nicht. Kann man es sich leisten, einen Tag in der Kommunikation zu überspringen, wenn die Parteien neue Fakten geschaffen haben? Andererseits: Der SWR, das heißt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Instrument der Demokratie für Information und Transparenz geschaffen, und dieser Auftrag gilt bis heute. Hätten wir gemauert, hätten wir nur dem „Lügenpresse“-Vorwurf Vorschub geleistet.

Zwischendrin war SWR-Intendant Peter Boudgoust gezwungen, sich meinungsstark zu äußern. War Ihre Nähe zu ihm gut in dieser Situation?

Ja, die Pressestelle ist da Sparringspartner und Servicedienstleister in einem. Wir haben durchgespielt, was machbar ist. Wegen der großen Dynamik, mussten wir flexibel denken.

Interessant war, dass in Interviews mit dem Intendanten und dem Chefredakteur eindeutige Worte und mächtige Posen besser ankamen als das Moderate. Das kann natürlich nur von der Führung selbst ausgehen. Bei einem Pressesprecher würde das in der Außenwahrnehmung schnell kippen.

Haben Sie die Lage hinterher intern aufgearbeitet?

Ja. Dabei war die Rolle der Kommunikation wichtig, das hätte niemand anderer machen können. Es war schon gut, zwischen den Stühlen gesessen und selbst Journalistin gewesen zu sein, denn wir haben hinterher in Ruhe unser Rollenverständnis SWR-intern mit den Kollegen aus den Nachrichten- und politischen Redaktionen aufgearbeitet. Dabei ging es vor allem um Organisation, Aufgaben und Workflows. Wir haben von Seiten der Kommunikation  betont, dass man sich nicht auf Mutmaßungen einlassen darf, sondern warten muss, bis alle Fakten gecheckt sind.

Was war Ihr persönliches Rezept gegen das Durchdrehen?

Ich brauchte keins, ich fand das einfach spannend. Wir waren nah dran an der Öffentlichkeit, deren Meinungen. Es war spannend zu sehen, in welchem Verhältnis Politik und Medien zueinander stehen. Sie bedingen einander, aber sollten sich streng im Sinne der demokratischen Gewaltenteilung auch in Ruhe lassen. Ich kam damals direkt aus dem Urlaub, und das waren die spannendsten drei Wochen seit Langem.

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