So gelingt virtuelle Führung

Tipps für Distance Leadership

Laut einer Studie von RW3 CultureWizard arbeiten bereits 87 Prozent der höheren Angestellten in multinationalen Konzernen zumindest teilweise virtuell. Führung auf Distanz, in sogenannten virtuellen oder auch standort­übergreifenden Teams, bringt mit sich, dass sich die Führungskraft und die geführten Mitarbeiter dauerhaft an unterschiedlichen Orten befinden. Aufgrund der räumlichen Trennung kommunizieren sie überwiegend online oder telefonisch. Bei multinationalen Unternehmen, in denen zentrale Personen oft global Verantwortung tragen, kommen zudem oft Länder-, Sprach- und kulturelle Grenzen hinzu.

Wer aus der Distanz führt, dessen virtuelles Team lässt sich mit einem komplexen Motor vergleichen, der gut geschmiert Hoch­leistungen erbringen kann. In der Realität sorgt – um im Bild zu bleiben – Sand im Getriebe jedoch häufig dafür, dass das Team unter seinen Möglichkeiten bleibt. Doch dies muss nicht so bleiben.

Der US-amerikanische Sportpäda­goge und Berater Timothy Gallwey hat für die Leistung einzelner Menschen die treffende Formel geprägt: Leistung = Potenzial – Störung. Diese lässt sich auf virtuelle Führungs­situationen übertragen: Das Potenzial einer Zusammenarbeit auf Distanz ist ­vergleichsweise hoch, hat man es doch meist mit gut qualifizierten, sorgfältig ausgewählten Mitarbeitern zu tun. Wer Menschen virtuell führt, ist jedoch mit speziellen Herausforderungen konfrontiert, die massiv stören können. Um diese Hürden erfolgreich zu überwinden, damit Führung gelingt, die Leistung stimmt und alle Beteiligten Freude an der Zusammenarbeit haben, sollte man Folgendes im Auge behalten.

Die sechs Säulen eines ­erfolgreichen virtuellen Teams

Die Voraussetzungen dafür, dass Führung auf Distanz gelingt, lassen sich durch sechs Säulen beschreiben. Notwendig sind:

• Vertrauen
• Kommunikation
• eine eigene Team-Identität, ­gemeinsame Ziele und ein subjektives Team-Gefühl
• Führung, dabei kann es sich um hierarchische oder rein fachliche Führung ohne disziplinarische Vorgesetzten­rolle handeln
• individuelle Stärken und Fähigkeiten aller Beteiligten
• externe Ressourcen, wie beispielsweise die technische Ausstattung und ein angemessenes Reisebudget

Zwei dieser Säulen sind besonders kritisch: Vertrauen und Kommunikation. Zwischen diesen beiden besteht in der Praxis ein enger Zusammenhang. Das Vertrauen hält ein Team zusammen. Wie jedoch entsteht es? Vertrauen ist nichts, das Sie verordnen können. Vor Ort wächst es mit der Zeit fast von allein, wenn Menschen eng zusammenarbeiten. Wenn jedoch hunderte oder tausende Kilometer zwischen den Beteiligten liegen, entsteht es nicht automatisch, kann jedoch durch gezielte und intensive Kommunikation aufgebaut werden.

Virtuelle Führung setzt eine gute Kommunikation voraus (c) Mona Karimi / Thinkstock

 Führung setzt eine gute Kommunikation voraus (c) Mona Karimi / Thinkstock

Wichtig ist dabei gerade die informelle Kommunikation: Arbeiten Sie am selben Ort, so treffen Sie Ihre Mitarbeiter in der Teeküche oder Kantine, wechseln einige Worte auf dem Gang, tauschen sich vor oder nach Meetings aus. Sie bekommen mit, was sie bewegt und was ihnen wichtig ist. Diese Anlässe fehlen, wenn Sie virtuell führen. Sie können sie jedoch gezielt schaffen: Geben Sie in virtuellen Meetings zu Beginn Raum für Smalltalk, bevor Sie konzentriert in die Agenda einsteigen. Zeigen Sie ehrliches Interesse, fragen Sie in Einzelgesprächen neben fachlichen Dingen auch danach, was den Mitarbeiter gerade bewegt, was ihm wichtig ist: Erkundigen Sie sich nach der anstehenden Urlaubsreise, dem kranken Kind oder dem nächsten Sportereignis.

Verschiedene Kanäle

Bei der Kommunikation auf Distanz wählen Sie täglich zwischen verschiedenen Kanälen: Ob Sie bestimmte Informationen im Intranet zugänglich machen, E-Mails versenden, Textnachrichten nutzen, telefonieren, sich für eine Video-Konferenz oder -Chats mit zusätzlichen Features zur gemeinsamen Bearbeitung von Dokumenten entscheiden, jeder dieser Kanäle ist mit bestimmten Vor- und Nachteilen verbunden. Allen gemeinsam ist, dass sie eine Filterfunktion haben. Dies bedeutet, dass Sie und Ihr Gegenüber non-verbale Informationen, die Sie im persönlichen Gespräch ganz selbstverständlich über Mimik und Gestik empfangen, nur eingeschränkt oder gar nicht wahrnehmen können. Dies erhöht die Gefahr von Missverständnissen. ­Diese ist zudem höher, wenn Mitarbeiter nicht in ­ihrer Muttersprache kommunizieren.

Wie kann man damit umgehen? Zuerst einmal gilt es, den Kommunikations­kanal sorgfältig zu wählen. Sehr wichtige, insbesondere auch negative Informationen sollten beispielsweise nicht per E-Mail kommuniziert werden. Fehlende Klarheit ist die Wurzel für weitere Störungen, daher fragen Sie im Zweifel lieber einmal mehr nach und wiederholen wichtige Informationen.

Bei besonders kritischen Themen und Konflikten empfiehlt sich, sofern möglich, ein persönliches Gespräch. Je nach geografischem Abstand sind persönliche Treffen ohnehin mindestens alle drei bis sechs Monate ratsam. Zu Beginn größerer Projekte, bei Bildung neuer Abteilungen sollte zudem ein ­Kickoff-Meeting des gesamten Teams an einem Ort stattfinden.

Distanz überwinden

In multinationalen Unternehmen erleben Führungskräfte und Mitarbeiter Nähe und Distanz oftmals in mehrerlei Hinsicht: Zum geografischen Abstand und Konsequenzen wie Zeitverschiebung, einer anderen Sprache und womöglich parallelen nationalen Führungsstrukturen, kommen häufig auch kulturelle Unterschiede.

Geert Hofstede, einer der Pioniere der interkulturellen Forschung, versteht unter der Kultur: Die „kollektive mentale Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“. Mitarbeiter bringen nicht nur einen unterschiedlichen Hintergrund mit, je nachdem, ob sie beispielsweise aus China, Frankreich oder den USA stammen, sondern auch Unternehmen, Standorte oder Abteilungen können sich durch eine eigene Kultur auszeichnen. Solche kulturellen Unterschiede werden weniger erwartet, können bei der Führung auf Distanz aber ebenfalls zu Reibungsverlusten führen.

Führung auf Distanz braucht eine erhöhte Einsatzbereitschaft und Leistung (c) Mona Karimi / Thinkstock

Führung auf Distanz braucht eine erhöhte Einsatzbereitschaft und Leistung (c) Mona Karimi / Thinkstock

Wichtig ist, auf allen Ebenen ein Bewusstsein für die großen und kleinen kulturellen Unterschiede zu schaffen und stets sensibel und wertschätzend damit umzugehen. Hierzu gehört, sich den eigenen kulturellen Hintergrund bewusst zu machen. So wird ein typisch deutscher Kommunikationsstil anderswo womöglich als harsch erlebt, während wieder andere Mitarbeiter überrascht sind, wenn der Chef sie dazu auffordert, offen ihre Meinung zu äußern.

Beginnen Sie mit einer Momentaufnahme und fragen Sie sich: Wo stehen wir? Bringen meine Leute und wir als Team gemeinsam die Leistung, die möglich wäre? Bei Betrachtung der sechs Säulen, was läuft gut und an welchen Erfolgshebeln können wir ansetzen? Haben Sie dabei besonders die ersten beiden Säulen im Blick, also Vertrauen und Kommunikation.

Virtuelle Führung ist die Königsdisziplin guter Führung. Wenn Sie es schaffen, den Sand aus dem Getriebe zu entfernen – und über eine intensive und angemessene Kommunikation regelmäßig hochwertiges Motorenöl nachgießen – werden Sie mit einem effektiven virtuellen Team belohnt, in dem jeder einen optimalen Beitrag leistet. Übrigens: Wer erfolgreich auf Distanz führt, der wird fast immer auch als Führungskraft vor Ort geschätzt.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Haltung – Das Gute kommunizieren. Das Heft können Sie hier bestellen.