Nachholbedarf bei CEOs

Deutsche Unternehmen geben jährlich Millionenbeträge für Public Relations, Mitarbeiterkommunikation und Investor Relations aus. Dennoch mangelt es in den Führungsetagen oft an zeitgemäßen Vorstellungen über die Dynamik der Meinungsbildung im Zeitalter der Social Web, die Bedeutung einzelner Dialogpartner und den Stellenwert von Reputationsmanagement. Erfolgreiche Unternehmenskommunikation setzt jedoch übereinstimmende Vorstellungen von den Aufgaben und Zielen der Unternehmenskommunikation zwischen PR-Verantwortlichen und CEOs voraus. Widersprüchliche Grundannahmen und Erwartungen sind problematisch. Sie führen dazu, dass vorhandene Potenziale nicht ausgeschöpft und die Unternehmenskommunikation trotz ausreichender Ressourcen und Kompetenzen nicht erfolgreich umgesetzt werden kann.

Widersprüche und Überzeugungen: Unternehmenskommunikation aus der Sicht von 602 Top-Managern

Die Kernfrage ist, wie Entscheidungsträger in deutschen Großunternehmen Unternehmenskommunikation verstehen und was sie von ihren Kommunikationsabteilungen erwarten. Dies wurde im Rahmen einer empirischen Studie der Universität Leipzig und der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht, in deren Kontext meine Masterarbeit mit weiteren Auswertungen und Theorieexplorationen entstanden ist. Die Studie wurde von der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation und dem F.A.Z.-Institut gefördert. Insgesamt 602 Vorstände und Geschäftsführer aus zehn Kernbranchen der deutschen Wirtschaft haben sich im Frühjahr 2013 an der Erhebung beteiligt.

Zunehmende Relevanz der öffentlichen Meinung vs. Geringe Bedeutung von Social Media

Sieben von zehn Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern bestätigen, dass die Auswirkung auf die öffentliche Meinung heute bei unternehmerischen Entscheidungen stärker berücksichtigt wird als noch vor fünf Jahren. Ein Viertel der Top-Manager geht außerdem davon aus, dass die Bedeutung der Unternehmenskommunikation bis 2015 deutlich zunehmen wird. Interessant dabei: Nach Ansicht der Befragten haben die klassischen Massenmedien einen deutlich höheren Einfluss auf die Reputation von Unternehmen als Facebook, Twitter und Co. Obwohl die Bedeutung sozialer Netzwerke und der daraus folgende Kommunikationsdruck als wichtigste Gründe für einen wachsenden Stellenwert der Kommunikationsfunktion genannt werden, schreiben deutsche Führungskräfte den sozialen Medien dennoch keinen besonders hohen Stellenwert zu.

Hohe Bedeutung von Transparenz vs. Verkürztes Kommunikationsverständnis

Top-Manager bewerten die Herstellung von Transparenz über die Unternehmenspolitik und -strategie neben der Information und Motivation der Belegschaft, dem Vertrauensaufbau, der Imagepflege und der objektiven Information als wichtigstes Ziel der Unternehmenskommunikation. Dabei erwarten sie von Kommunikationsverantwortlichen, so transparent wie möglich zu agieren und sich immer für Offenheit gegenüber relevanten Zielgruppen einzusetzen. Die Strategie, möglichst viele Informationen unstrukturiert zu veröffentlichen, so dass kritische Punkte verdeckt werden, lehnen Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer mehrheitlich ab.

Dass Kommunikation nicht nur die Funktion des Sprechens umfasst, sondern auch Zuhören bedeutet, wird leider häufig vernachlässigt. So erfahren vor allem gesellschaftspolitische Kommunikationsziele, beispielsweise die Bereitstellung von Dialogmöglichkeiten mit interessierten Gruppen oder die Erfassung von Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen, bislang wenig Berücksichtigung. Dabei spielt gerade die Meinungsbeobachtung eine zentrale Rolle für die Unternehmensführung. Angesichts des sinkenden Vertrauens in die Wirtschaft und des steigenden Legitimationsbedarfs – nicht nur bei Großprojekten – besteht hier offensichtlich Nachholbedarf. Im Zeitalter von Big Data bieten Medienbeobachtung, Social Media Monitoring und Issues Management viele Chancen für die Wettbewerbsbeobachtung, im Innovationsprozess und bei der Krisenprävention. Hier werden aktuell trotz der hohen Bedeutung der öffentlichen Meinung für unternehmerische Entscheidungsprozesse noch wichtige Potenziale verschenkt.

CEOs gewichten eigene Kommunikationsleistung durchweg höher

Im Durchschnitt wenden deutsche Vorstände und Geschäftsführer zehn Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit für strategisch geplante Unternehmenskommunikation auf. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Befragten der Kommunikationsleistung des Top-Managements selbst durchweg eine sehr hohe Bedeutung für den Unternehmenserfolg zuschreiben. Fast neun von zehn Befragten bestätigen diese Aussage. Genau genommen bewerten Top-Manager den Beitrag ihrer persönlichen Kommunikationsleistung zum Unternehmenserfolg wesentlich höher als den der Unternehmenskommunikation. Dabei geht es vor allem um die Kompetenz, Gespräche mit Mitarbeitern, Kunden, Politikern und anderen Bezugsgruppen führen zu können. Außerdem sollte die oberste Führungsebene den Erfolg von Kommunikationsmaßnahmen bewerten können und bei öffentlichen Ansprachen und Reden überzeugen. Erneut wird der Umgang mit den sozialen Medien dagegen als weniger relevant eingestuft. Wider Erwarten beeinflussen weder das Alter und die Führungserfahrung der Befragten noch die Intensität der Zusammenarbeit mit der Kommunikationsabteilung diese Einschätzungen. Allerdings unterscheiden sich die Anforderungen in einzelnen Marktsegmenten: Im B2C-Bereich wird der kompetente Umgang von Top-Managern mit Social Media eher erwartet als in B2B-Unternehmen.

Implikation für die PR-Praxis: Engere Verzahnung von Kommunikations- und Unternehmensstrategie

Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass die Relevanz strategischer Kommunikation in den Führungsetagen deutscher Großunternehmen heute bereits erkannt und künftig weiter zunehmen wird. Doch das volle Potenzial der Unternehmenskommunikation wird noch lange nicht ausgeschöpft. Dies gilt insbesondere für die Herausforderungen der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken und die Identifikation gesellschaftspolitischer Ansprüche und Trends.

Die Etablierung eines umfassenden Verständnisses zum Stellenwert des Reputationsmanagements erscheint in der Praxis ebenso notwendig wie eine engere Kopplung von Kommunikations- und Unternehmensstrategien. Notwendig ist dafür ein verändertes Bewusstsein bei der Unternehmensführung, denn gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Weiterentwicklungen führen stets zu neuen Herausforderungen für Unternehmen – doch unabhängig davon muss der Wert von Kommunikation zunächst von jenen Akteuren erkannt werden, die diese Unternehmen führen und gestalten.

Zum Beitrag

Der Beitrag basiert auf den Ergebnissen der Masterarbeit der Autorin, mit der sie 2013 den 2. Platz beim Nachwuchsförderpreis des Bundesverbands deutscher Pressesprecher (BdP) gewann. Die Kernergebnisse der Studie finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Der gute Ruf. Das Heft können Sie hier bestellen.

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