Und welche Rolle spielen Kommunikatoren dabei?

Digitalisierung

Kürzlich erzählte mir mein Nachbar von den Hürden, die er zu überwinden hatte, um in Berlin einen neuen Reisepass zu erhalten. Tatsächlich musste er vier Mal in der dafür zuständigen Behörde persönlich (!) vorsprechen: das erste Mal, um den Termin für die Antragstellung zu vereinbaren. Das zweite Mal, um den Pass zu beantragen. Das dritte Mal, um den Termin für die Abholung zu vereinbaren. Und das vierte Mal, puh, um den Reisepass endlich abzuholen. Nun hätte er ja auch das digitale Terminbuchungstool des Bürgeramts nutzen können. Da sah er allerdings nur rot.

Die rötlich markierten Felder im Kalender bedeuten „ausgebucht“ – und das für die nächsten drei Monate, noch weiter in die Zukunft ist kein Termin planbar. Also alles schön analog mit viel Warterei. Nun könnten Sie sagen, dass die in Berlin ja sowieso nichts fertigbekommen … Ja, vielleicht. Aber dieses Beispiel zeigt nicht nur, was in der Hauptstadt alles nicht funktioniert. Es steht sinnbildlich auch dafür, dass Digitaldeutschland noch lange nicht da angelangt ist, wo es schon längst sein sollte. ­„E-Government in Deutschland: Viel Luft nach oben“ lautet sogar ein Kapitel im Bericht der von der Bundesregierung einberufenen Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).

Wacht endlich auf!

Zu zögerlich wird in datenbasierte Geschäftsmodelle investiert. Zu zögerlich werden die politischen Rahmenbedingungen an die neuen digitalen Herausforderungen angepasst. Zu zögerlich werden aus den Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, Konsequenzen gezogen. Erschreckend daran ist vor allem eins: Niemand hat wirklich eine Wahl. Wer nicht bald die Stacheln ausfahre, sagt ­Audi-Chef Rupert Stadler dem „Manager Magazin“, wer nicht schleunigst Geschäftsmodelle entwickle für die Zukunft, der sei: „Out! Of! Business!“. Klare Worte.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey haben 44 Prozent der Unternehmen in Deutschland im Jahr 2015 keine oder nur begrenzte Fortschritte beim Thema Industrie 4.0 gemacht. Tim Cole, Internet-­Experte und Autor des Buchs „Digitale Transformation“, fragt gar: „Obwohl heute jeder Hund den Begriff ‚Industrie 4.0’ durchs Dorf zu bellen scheint, warum hat dann ein ­Drittel aller Chefs von deutschen Fertigungsunternehmen noch nie davon gehört?“

Die oben genannte Expertenkommission Forschung und Innovation stellt vor allem dem viel gelobten deutschen Mittelstand ein digitales Armutszeugnis aus: In Bezug auf Innovationsausgaben der kleinen und mittelgro­ßen Unternehmen (KMU) steht Deutschland im Vergleich mit sieben weiteren europäischen Ländern an vorletzter Stelle. Es muss also ein großes Umdenken geben. Und was hat das mit Kommunikation zu tun?

Social Intranet als Herz des digitalen Unternehmens

Alles. Gut aufgestellt, kann der Kommunikator der zentrale Treiber dieses Wandels sein, Moderator, Befähiger und Einordner. Denn Visionen und Strategien müssen veranschaulicht, Herausforderungen klargemacht und neue (digitale) Formen der Zusammenarbeit etabliert werden. Große Unternehmen machen es vor: Axel Springer, Bosch, die Deutsche Bahn und allen voran die Deutsche Telekom. Hier wurde Zeit, Kraft und Muße in die Einführung eines Social Intranets investiert. Lassen Sie uns darüber reden.

Jeder kann sich noch an das alte Intranet erinnern, in dem man Kantinenpläne ­studierte und Urlaubsanträge runterlud. Dazwischen flatterten noch ein paar Infos der Unternehmenskommunikation, die man als Mitarbeiter mehr oder weniger zur Kenntnis nahm. Informationsweitergabe – ganz klassisch – vom Sender zum Empfänger. Kommunikation nach dem Einbahnstraßenprinzip. Und nun also dieses Social-Dings. Kurz zusammengefasst werden in diesem Medium die Funktionalitäten, die wir aus den Social ­Media kennen, mit denen des Intranets vereint. Jeder kann Beiträge schreiben, andere Teilnehmer können diese kommentieren, bewerten, empfehlen. Die Unternehmenskommunikation für ihren Teil merkt sofort, welcher ­ihrer Beiträge bei den Mitarbeitern zündet.

Die verschiedenen Anwendungen bieten zudem Arbeitsgrundlage für Mitarbeiter beziehungsweise Projektgruppen, denn Dokumente können hinterlegt und Arbeitsstände festgehalten werden. Ein Social Intranet ist, wenn man so will, das Herz des vernetzten Unternehmens, in dem das Dialogprinzip regiert. Informationen werden nicht, wie früher, von oben nach unten weitergegeben. Vielmehr kann jeder mit jedem in Echtzeit kommunizieren, Feedback geben, sich einbringen, und das über Abteilungs- und Hie­rarchiegrenzen hinweg. Das ist essenziell, denn „in Zeiten, da ­

Kundenanfragen immer spezieller und komplexer werden und auch Produkte und Dienstleistungen sich immer schneller wandeln, braucht es Strukturen, in denen sich die richtigen Kompetenzträger für die Kundenanforderung schnell zusammenfinden und produktiv vernetzt arbeiten können“, schreiben die Autoren des Buchs „Willkommen in der neuen Arbeitswelt“. Das heißt, Unternehmen, insbesondere Kommunikatoren, müssen Bedingungen schaffen, die diese Vernetzung, den Austausch, das Feedback, den Wissenstransfer ermöglichen und somit effizientes Arbeiten. Und diese Effizienz kann durch das Social Intranet tatsächlich erhöht werden: Eine Studie legt nahe, dass sich das E-Mail-Aufkommen um gut ein Viertel reduziere. Das ist einer von vielen Gründen, weshalb Unternehmen auf dieses Medium setzen.

So auch die Deutsche Telekom: Durch das Social Intranet kämen Mitarbeiter in Kontakt, die früher gar nichts voneinander wussten, erklärt Susann ­Terheggen, verantwortlich für Projektmanagement und Medienentwicklung im Kommunikationsteam. An verschiedenen Stellen würden sich Leute zu den gleichen Themen Gedanken machen oder an ähnlichen Projekten ­arbeiten. ­„Silos einreißen“, laute daher auch der Schlachtruf des Telekom-CEOs ­Timotheus Höttges, den seine Mitarbeiter gefühlt mehrmals täglich zu hören bekämen, erzählt Terheggen. „Man müsse miteinander arbeiten und nicht an fünf Stellen das Rad neu erfinden“, betone er stets.

Chefs müssen digitalen Wandel vorleben

Social Intranet – schön und gut, aber die Technik allein macht’s noch lange nicht. Aufklärungs- und Motivationskampagnen, Kurse und Gespräche – all das gab und gibt es bei der Telekom. Auch Terheggen hatte in ihrer Funktion als Kommunikatorin anfänglich die Kampagne zur Einführung der neuen Arbeitsplattform begleitet und kam sich zeitweise vor wie ein Wanderprediger: „Man zieht durch die Gegend und versucht, Leute von dem Sinn dieses Mediums zu überzeugen. Am besten funktioniert das, indem man den Mitarbeitern zeigt, wie ein Social Intranet ihren konkreten Arbeitsalltag erleichtern kann, und ihnen so ein Aha-Erlebnis verschafft.“ Eine ganze Ausgabe des (gedruckten) Mitarbeitermagazins habe sich nur mit dem Thema „Social Intranet“ beschäftigt.

Wie jeder andere „normale“ Change muss die Einführung einer neuen Arbeitsplattform eben auch moderiert werden, um nicht zu scheitern. Höttges, der mit „Tim’s Base“ zudem einen mehrfach ausgezeichneten CEO-Blog betreibt, ist nicht nur aktiver Förderer des digitalen Wandels, er lebt ihn auch. Es nützt nichts, Digitalisierung an einen Chief ­Digital Officer „auszulagern“ und zu sagen: „Dann mach mal!“ In diesem Fall entstünde wieder nur ein Silo.

Welche Symbolkraft von Chefs bei der digitalen Transformation ausgeht, lässt sich sehr gut an Ex-„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann nachvollziehen, der sich für einige Monate ins Silicon Valley verabschiedete und den Wandel auch äußerlich zeigte. Diekmann ging als gegelter „Bild“-Chef und kam als nerdiger Hipster im Hoodie wieder. ­Medial wirkte das wie ein Faustschlag ins Gesicht. Das mag man belächeln, es unterstreicht aber die Botschaft der Axel Springer SE, führender digitaler Verlag zu werden, bestens. Heute generiert das Unternehmen knapp drei Viertel seiner Einnahmen aus digitalen Geschäften.

Kulturwandel und neue Führungsstile

Mit Digitalisierung einher geht im Unternehmen ein gewaltiger Kulturwandel. Das bedeutet mehr, als Dresscodes auf Mark-­Zuckerberg-Stil zu reduzieren. Führungs­kultur muss neu gedacht, Strukturen müssen angepasst werden.

Wenn durch vernetzte Unternehmens­welten Wissen nicht mehr nur bestimmten Personengruppen vorbehalten ist, ändern sich Machtstrukturen. So formuliert Antje ­Neubauer, stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der Deutschen Bahn, in einem Beitrag für die Onlineausgabe des „Manager Magazins“: „(…) zwischen dem Wollen und dem, was das Ego eines Chefs ertragen kann, können Welten liegen. Kritikfähigkeit und Fehlerkultur müssen gelernt sein. Viele Unternehmen stellt das vor große Herausforderungen – auch wenn nach außen alle jubeln angesichts der vielen neuen digitalen Möglichkeiten und einer die hierarchischen Grenzen auflösenden Vernetzung.“ Susann Terheggen von der Telekom äußert sich ähnlich. Der sich ändernde Führungsstil sei momentan bei der Telekom ein großes Thema. Man müsse wegkommen von dem „Ich ordne an und du machst“. Vielmehr sollte die Devise gelten: „Du weißt selbst, was du zu machen hast, und ich als Chef sorge dafür, dass das Umfeld dafür optimal ist“, sagt sie.

Eine riesige Herausforderung sei das, schließlich hätten Führungskräfte jahrzehntelang ganz andere Prinzipien verinnerlicht.
Gerade das mittlere Management muss den größten Kontrollverlust hinnehmen. ­Diese Personengruppe unterliegt auf der anderen Seite einem Rechtfertigungsdruck gegenüber der übergeordneten Ebene. Vernetztes, abteilungsübergreifendes, projektbasiertes Arbeiten ist toll, aber Terheggen fragt zu Recht: „Warum soll mich mein Chef für ein Projekt einer anderen Abteilung freistellen, wenn meine Abteilung die Lorbeeren nicht ­einstreicht?“ Das sei ihrer Meinung nach der „große Knackpunkt“, an dem Personalprozesse bislang nicht hinterherkämen. Mag ja sein, dass ein bestimmtes Projekt für das gesamte Unternehmen von hoher Bedeutung ist. Abteilungsleiter müssen sich aber oftmals noch an konkreten Ergebnissen messen lassen.

Veränderte Strukturen schaffen neue ­Perspektiven

Vernetztes Arbeiten ist eben kein Selbstläufer, es bedarf sinnvoller Rahmenbedingungen, Führungs­leistung muss anders bewertet werden. Projektbasiertes Arbeiten hat Philipp Schindera, Kommunikationsleiter der Telekom, schon vor knapp drei Jahren innerhalb seines 130-Mitarbeiter-Teams etabliert. Aus einem Sparzwang heraus musste er seine Abteilung radikal umbauen. Er schaffte Hierarchieebenen ab und fördert nun gezielt das projektbasierte, poolorganisierte Arbeiten. Wie läuft das ab?

Jeder Mitarbeiter habe natürlich weiterhin sein Steckenpferd und seine ­Expertise, erklärt Terheggen. Innerhalb des Social Intranets gibt es eine geschlossene Komm-Gruppe, wo eine Aufgabenbörse hinterlegt ist. Dort werden unter anderem auch Projekte ausgeschrieben, für die sich jeder bewerben kann. „Plötzlich machte unser Foto-Chef den Geschäftsbericht“, sagt Terheggen lachend. Natürlich habe er den Geschäftsbericht nicht selbst geschrieben, er hat das Team geleitet und sich Experten gesucht. „Dieses poolbasierte Arbeiten ermöglicht einen ganz anderen Blick auf die Dinge“, so Terheggen. Außerdem packen Menschen ein Thema viel motivierter an, wenn sie sich selbst aktiv dafür entschieden haben. Unterscheidungen nach den klassischen Kriterien intern/extern, national/international kennt Schinderas Abteilung nicht. Es geht um ­Themen. Und nur noch darum.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Digitalisierung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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