Gut gestimmt: Über den Einfluss unserer Stimme auf die Karriere

Frau Hartnig-Schuck, auf Ihrer Webseite zitieren Sie eine Studie, der zufolge 91 Prozent der Personalbetreuer Bewerber mit einer guten Stimme und Sprechweise anderen vorziehen. Determiniert unsere Stimme unsere Karriere?
Sandra Hartnig-Schuck: Eine gute Stimme spielt definitiv eine große Rolle. Besonders beim ersten Kontakt beurteilen wir den Menschen sehr stark nach dem Klang seiner Stimme. Erst in zweiter Linie wird mehr Gewicht auf das optische Erscheinungsbild, Mimik und Gestik gelegt. Das ist auch im Privaten so: Sie begegnen einer Person an der Bar, finden sie attraktiv – bis zu der Sekunde, in der sie den Mund öffnet. Oder natürlich andersherum: Erst durch die Stimme wird der andere interessant. So ist es letztlich auch im Bewerbungsgespräch.

Ob wir im Chefsessel landen, ist also von der Tauglichkeit unserer Stimmbänder ­abhängig?
Natürlich kann man die Stimme nicht vom Inhalt abkoppeln. Das, was ich vermitteln möchte, muss inhaltlich Hand und Fuß haben, wenn es auch zunächst eine untergeordnete Rolle spielt. Mit einer runden und ruhigen Stimmlage habe ich sicher einen schnellen Zugang zum Auditorium; auf eine hektische und schnelle Sprechweise reagieren die Zuhörer oft irritiert.

„Äh“, „quasi“, „sozusagen“ – was kann man denn tun, wenn man in einer Vortrags­situation fünfmal im Satz solche ­Verlegenheitswörter oder -laute benutzt?
Wir Stimmtrainer raten immer dazu, Vorträge laut zu üben. Es hilft nicht, eine Präsentation lediglich im Kopf durchzugehen. Nur wenn ich sie in der Übungssequenz sprachlich dialogisiere, also mir vorstelle, ich hätte ein Publikum vor mir, können mir Unstimmigkeiten überhaupt bewusst werden. Natürlich ist es auch hilfreich, wenn eine vertraute Person dabei ist, die mich auf Füllwörter und überflüssige Silben aufmerksam machen kann. Wenn der Zuhörer immer eine solche Satzschleife im Ohr hat, mag er nämlich nach kurzer Zeit nicht mehr zuhören und driftet ab – selbst dann, wenn der Inhalt spannend ist.

Und was kann man tun, wenn das ­Lampenfieber auf die Stimme übergreift?
Wenn ich aufgeregt bin, spielt die Natur mir einen Streich. Die Nervosität löst in mir einen Fluchtreflex aus, der mich schneller atmen lässt, damit möglichst viel Sauerstoff in die Muskulatur gelangt. Für einen bevorstehenden Sprint ist das gut, in einem Vortrag ist die Schnappatmung leider kontraproduktiv. Um stimmlich zur Ruhe zu kommen, braucht man am Podium einen guten, sicheren Stand mit beiden Füßen auf dem Boden und leicht angewinkelten Knien. Man kann sich auch bei erfahrenen CEOs abschauen, wie sie sich auf der Bühne bewegen. Mit dieser Dynamik dämpft man die Anspannung der Situation.

Nicht jeder mag seine Stimme, meist wird sie jedoch als etwas unveränderlich Gegebenes angesehen. Was ist mit Menschen, die heiser oder nasal sprechen – haben sie automatisch geringere Chancen, oder können sie ihr Schicksal in die Hand nehmen?
Das können sie auf jeden Fall. Wenn jemand weiß, dass er keine feste Stimme hat, immer eher leise spricht und Silben verschluckt, ist es absolut sinnvoll, sich von einem Profi beraten zu lassen. Was es zu beachten gilt, ist: Wir sind gestimmt wie ein Instrument. Es gibt einen Grundton, mit dem jeder von uns klingt. Den gilt es zu finden, nur dann kann man gesund und wohlklingend sprechen. Dazu kann man sich vorstellen, jemandem in einer ­Diskussion brummend zuzustimmen. Auf diesem Ton spielt sich alles ab. Wer dauerhaft von seinem Grundton abweicht, zu hoch spricht oder zu laut, kann seiner Stimme Schaden zufügen.

Und wenn wir unseren Klang gefunden ­haben, nehmen wir beruflich und privat ­unser Umfeld für uns ein?
Es ist wirklich so: Wenn jemand seine Stimme trainiert, verändert sich auch seine Ausstrahlung, die  Persönlichkeit. Man arbeitet schließlich nicht nur an der Stimme selbst, sondern generell an der Haltung, der Gestik und dem Gesichtsausdruck. Deshalb kann das auch ein Raucher machen oder jemand, der schüchtern ist. Es gibt da dieses schöne und treffende Zitat aus dem Musical „My Fair Lady“: „Wenn man einem Menschen eine neue Stimme gibt, gibt man ihm auch einen neuen Charakter.“

Welche Stimmen werden denn überhaupt als angenehm empfunden?
Uns gefallen im Allgemeinen runde, tragfähige Stimmen. Man mag nicht, wenn es quietscht, pfeift oder knattert. Die meisten Menschen bevorzugen die Stimmlage Alt. Aber es gibt natürlich immer auch Ausnahmen. Die Generation meiner Mutter fand beispielsweise den Autor und Moderator Elmar Gunsch mit seiner tiefen, sonoren Stimme großartig. Die Damenwelt ist ihm dank des ruhigen und harmonischen Klangs erlegen. Die Stimme passte zu ihm. Und das ist auch das Wichtige: Man kann sich nicht irgendetwas antrainieren, was nicht stimmig ist. Außenstehende würden das diffus wahrnehmen und irritiert sein. Ganz besonders bei Pressesprechern kommt es maßgeblich darauf an, dass der Auftritt authentisch ist. Die Stimme leistet dafür einen großen Beitrag.

Welche Rolle spielt die individuelle Tagesform für die Stimme? Eine Erkältung oder die durchzechte Nacht können andere ja meist sofort heraushören …
Ein Profi, beispielsweise ein Radiosprecher, kann das überspielen. Für gewöhnlich ist aber die Stimme auch stimmungsabhängig – Sie erkennen am Telefon sofort die Stimmungslage einer Ihnen vertrauten Person. Wenn ein Pressesprecher Positives zu verkünden hat, wird er das besonders gut intonieren und transportieren.

Eine markante Stimme ist für viele ja ihr ­Markenzeichen. Oft erkenne ich eine Person an ihrer Stimme, obwohl ich mich an das ­Gesicht kaum noch erinnere.
Stimmen haben einen hohen Wiedererkennungswert. Wir werden im täglichen Leben immer wieder auditiv und visuell getriggert – ich denke da besonders an den Bereich Marketing und Werbung. Wenn Sie im Fernsehen Werbung sehen, gehört die Stimme ja meist gar nicht zu der Person, die zu sehen ist, sondern zu bekannten Schauspielern oder Synchronsprechern. Diese Stimmen lösen Emotionen bei uns aus, mit ihnen verbinden wir etwas.

Wie kann man denn seine ­stimmliche Durchsetzungs­fähigkeit ­steigern? Nehmen wir mal an, eine Top-Managerin hat eine ­Piepsstimme …
… Eine Frau mit Piepsstimme wird es schwerer haben, sich in einer solchen Position zu ­etablieren und ihre Qualifikation in vollem Maße darzustellen.

Aber vielleicht hat sie ja die fachlichen Fähigkeiten. Soll sie dann versuchen, ­besonders tief und männlich zu klingen?
Nein, das ist der falsche Weg. Das wäre nicht die Grundtonlage ihres „Instruments“. Die Dame wird sich also vorstellen und exzellente Referenzen haben. Ein mögliches Scheitern in einer solchen Situation wird selten direkt auf die Stimme zurückgeführt werden. Wir sind so leistungsorientiert, so fixiert auf Noten und Zeugnisse, dass wir das Gewicht solcher Soft Factors manchmal ausblenden. Oft kann ein Ausweg aus einer solchen Situation sein, bei einem Trainer oder Logopäden den Fokus auf die Stimme zu legen. Das Trainingsbedürfnis ist individuell – es gibt leider keine fünf ­goldenen Regeln, mit denen jeder eine ­tolle Stimme ­entwickelt.

Haben Sie einen Tipp, wie man sich ­beispielsweise in einem unruhigen ­Meeting Gehör verschafft? Sollte man dann lauter oder leiser sprechen?
Wenn Sie sehr laut werden, geraten Sie in den Verdacht, mit den Inhalten nicht punkten zu können. Werden Sie allerdings ganz leise, wirkt das schnell eingeschnappt oder belehrend. Am besten ist es, die Personen direkt darauf anzusprechen, warum sie nicht mehr folgen, und in der Präsentation eventuell noch einmal einen Schritt zurückzugehen oder Diskussionsbedarf zuzulassen. Das gilt auch für eine turbulente Pressekonferenz.

Und was gilt es zu berücksichtigen, wenn es keine Face-to-Face Kommunikation gibt, wie beispielsweise am Telefon?
Hier fehlt natürlich der visuelle Eindruck und der Fokus auf das Gesprochene verstärkt sich noch einmal. Da geht es um feine Nuancen. So kann ich genau hören, wenn jemand abgelenkt ist und beispielsweise nebenbei am Computer ­arbeitet. Mein Tipp: Stehen Sie beim Telefonieren oder unterstützen Sie Ihre Ausdrucks­weise durch kleine Gesten. Körperliche Bewegung bringt auch gleich mehr Dynamik in die ­Stimme.

Die eigene Stimme auf einem Band zu ­hören, ist für viele ein Graus. ­Warum ­eigentlich?
Uns wird dann plötzlich bewusst, wie andere uns wahrnehmen. Wir selbst hören uns anders – das hat physiologische Gründe: Die Knochenleitung des Schädels ­ver­­ur­sacht einen Innenklang, der die Wahrnehmung unserer eigenen ­Stimme verändert. Um diesen ­irreführenden Eindruck von sich zu korrigieren, sind in Sprachtrainings Videoanalysen hilfreich.

Wird der Faktor Stimme grundsätzlich ­unterschätzt?
Ich denke, das ist durchaus der Fall. Schließlich sprechen wir alle, die Notwendigkeit, das zu üben, wird oft nicht gesehen. Viele gehen zu unbedacht mit ihrer Stimme um und sind sich nicht bewusst, was für ein enormes Werkzeug sie da in der Hand haben. Das ist selbst unter Stimmarbeitern wie Pressesprechern, Kundenberatern oder Uniprofessoren zu beobachten. Professionell ausgebildete Sprecher gehen zwar durch Trainerschulen und eignen sich das an, aber beispielsweise Lehrer lernen es oft nicht. Dabei sollten alle Menschen, die nach außen gehen und Inhalte medial vermitteln, ihre Stimme trainieren. Die Unternehmen, ob groß oder klein, können viel erreichen, indem sie ihre ­Mitarbeiter dahingehend schulen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe PR und Sprache. Das Heft können Sie hier bestellen.

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