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Konflikte in Teams durch Gewaltfreie Kommunikation lösen

Zuallererst möchten wenige etwas mit Kommunikation zu tun haben, die sich gewaltfrei nennt. Das wirkt so, als wäre man sonst verbal gewaltvoll. Andreas Basu spricht deshalb im Unternehmenskontext von konstruktiver Kommunikation. Damit können viele etwas anfangen. Konstruktiv sein, das klingt gut. Doch durch ignorierte Bedürfnisse, Pseudogefühle und Ängste laufen Dialoge zwischen Chef und Mitarbeiter, Kollegen, Kunden – Stakeholdern aller Art – häufig aneinander vorbei; sie werden schnell destruktiv. Aus Anspannung wird die innere Kündigung, und dadurch die Teamleistung geschwächt, im schlimmsten Fall Beziehungen abgebrochen – was sicherlich auch häufiger einmal zwischen Journalisten und Pressesprechern vorkommt.

Dabei hat der amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg bereits in den Sechziger Jahren eine Lösung für all diese Konflikte angeboten. Ursprünglich sollte sein Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), auch die Sprache des Herzens genannt, dabei helfen, die Rassentrennung an Schulen und Institutionen friedlich rückgängig zu machen. Er gründete die Non-Profit-Organisation „Center for Nonviolent Communication“ und vermittelte Zeit seines Lebens zwischen Menschen und sogar Staaten. Er lehrte seine Methode auf drei Kontinenten und sie wird seither weltweit durch zahlreiche Menschen weitergegeben. Andreas Basu vermittelt GFK seit 14 Jahren.

Herr Basu, was ­bedeutet ­Gewalt in Bezug auf ­Kommunikation?
Andreas Basu: Sprachliche Gewalt betrifft Aussagen, die in unserem Alltag gar nicht mehr als gewaltvoll wahrgenommen werden, wie beispielweise Menschen abzuwerten, anstatt sie ernst zu nehmen. Wir schaffen uns im Konflikt häufig Feindbilder des anderen. Dadurch stellen wir uns über andere Menschen und alles, was von Augenhöhe abweicht, führt häufig zu gewaltvoller Sprache. Ich nenne das auch Schuldsprache, denn wir suchen oft einen Schuldigen und werten ihn mit Du-Botschaften ab. In diesen Stresssituationen sehen wir die Bedürfnisse der anderen nicht als gleichwertig zu unseren. So verläuft es auch in Konflikten mit Führungskräften. In der gewaltfreien Kommunikation geht es darum, Beziehungen auf Augenhöhe zu gestalten. Eine Lösung ist dann tragfähig, wenn beide Seiten am Ende der Verhandlung damit zufrieden sind.

Das klingt erst einmal sehr idealtypisch. Das wünscht sich natürlich jeder. Aber wie gelingen solche zufriedenstellenden Beziehungen?
Ich komme gerade aus einer Mediation mit einer Abteilung, in der die Mitarbeiter nicht mehr miteinander sprechen wollten. Nicht einmal zur Mediation in der Gruppe waren sie bereit. Ich sprach dann mit jedem einzelnen. Das Problem war, dass ein neuer Mitarbeiter ins Team gekommen ist und sich gemobbt fühlte. In den Gesprächen kam heraus, dass der Konflikt seinen Ursprung gar nicht bei dem Mitarbeiter hatte, sondern mit der Führungskraft. Er wurde jedoch nie angesprochen, blieb seit drei Jahren ungeklärt. Das erlebe ich am häufigsten in Unternehmen. Es wird zwar getuschelt und gelästert, aber die eigentliche Person wird nicht angesprochen. Und ohne Dialog keine Verbindung, ohne Verbindung keine Klärung.

Klingt verzwickt.
Ja, es brauchte zuallererst sehr viel Verständnis für alle Beteiligten. Menschen wollen verstanden werden. Wenn das nicht so ist, sind sie auch nicht offen dafür, sich die Sorgen des anderen anzuhören. Wir denken dann in Feindbildern und deuten alles, was die Person tut, meist negativ. Dann fallen Sätze wie: „Er kümmert sich nicht um uns. Er interessiert sich nicht für uns. Wir sind ihm egal.“ Vertrauen wir der Person jedoch, legen wir ihr Verhalten anders aus: „Er lässt uns viel Freiraum. Er vertraut uns, dass wir es allein hinbekommen.“

Jetzt haben sicherlich einige Leser gedacht: Muss ich etwa für alles und jeden ­Verständnis haben?
Verständnis füreinander zu entwickeln, heißt nicht, dass wir einverstanden sind mit all dem, was der andere macht. Das ist eines der größten Missverständnisse. Wichtig ist, dass man zwischen dem Verhalten und der dahinterliegenden Absicht trennt. Es gibt aus meiner Sicht keine negativen Absichten, es gibt nur ganz fatale Verhaltensstrategien. Wenn Abteilungen beispielsweise einen Machtkampf untereinander ausfechten, dann ist ihre positive Absicht, dass sie ihren Arbeitsplatz sichern wollen. Traurig ist nur, dass sie als Verhaltensstrategie Krieg wählen statt Kooperation.

Wenn man bereit ist, herauszufinden, was die Motive des anderen sind, wie geht man vor?
Man fängt bei sich selbst an und überlegt: Was will ich eigentlich? Wofür kämpfe ich gerade mit der anderen Person? Warum bin ich wütend? Denn häufig verfolgen wir Interessen, ohne zu wissen, welche Bedürfnisse wir damit eigentlich erfüllen wollen. Jetzt gerade führen Sie beispielsweise ein Interview mit mir. Ihr Bedürfnis kenne ich nur zum Teil, ich kann es interpretieren. Auf mein eigenes müsste ich auch erst einmal schauen: Wieso gebe ich ein Interview? Einerseits ist es spannend und aufregend, ich frage mich, wie reagiere ich wohl spontan auf Fragen. Mein Bedürfnis ist also, ein Abenteuer zu erleben. Was Ihr Bedürfnis betrifft, vermute ich, Sie möchten anderen Menschen dabei helfen, mit Konflikten umzugehen. Gleichzeitig wollen Sie vielleicht auch einen Beitrag zu Ihrem eigenen Lebensunterhalt leisten, sich Ihren Arbeitsplatz sichern. Ist das so?

Ich habe Marshall Rosenbergs Buch vor zwei Jahren gelesen und war tief berührt. Ich bin froh, diese Entdeckung in meine Arbeit einbringen zu können. Meine Hoffnung ist, Menschen zu inspirieren, sich damit auseinanderzusetzen. Denn ich habe öfter das Gefühl, das Menschen gewaltsam miteinander sprechen.
Ich behaupte, das machen wir aber nicht, weil wir Gewalt lieben, sondern, weil wir nicht wissen, wie wir es anders machen können. Wenn wir wüssten, wie wir unsere Bedürfnisse ohne Gewalt erfüllen könnten, würden wir es ­sofort tun.

Wie kam es zu dieser Prägung?
Historisch gesehen haben wir eine Sprache entwickelt, die besonders gut in Hierarchien funktioniert hat. Viele tausend Jahre lang wurde von oben gesagt, wo es langgeht. Heute möchte man jedoch mündige Mitarbeiter. Autoritäre Führung hat als alleiniges Modell ausgedient. Wir bekommen so nämlich keine Informationen von Mitarbeitern, die wir dringend bräuchten. Außerdem sind wir geprägt von Strafen und denken: „Wenn ich bisher etwas gesagt habe, wurde ich nicht ernst genommen oder musste gar Repressionen erdulden.“ So kann man nicht gleichberechtigt miteinander kommunizieren. Auf Unternehmen bezogen habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Führungskräfte und die Mitarbeiter häufig nicht wissen, wie sie es anders machen können, selbst wenn sie es wollen.

Wenn der Differenzierungsgrad von Mitarbeitern und Führungskräften fast gleich ist, liegt es wohl im Elternhaus begründet. Hat man als ­Einzelner, der es anders ­machen möchte, überhaupt eine Chance?
Bei mir war es so: Ich habe GFK gelernt und es damals als Führungskraft umgesetzt, ohne es anzukündigen. Ich habe empathisch mit meinen Mitarbeitern gesprochen und meine eigene Position gleichzeitig deutlich gemacht. Es brauchte anfänglich natürlich mehr Einsatz von meiner Seite.

Haben Sie damals viel verändert in Ihrem Verhalten?
Am Anfang war es anstrengend, weil ich es mir selbst so schwer gemacht habe. Ich war so begeistert davon, Menschen zu erreichen. Bisher kannte ich nur Macht über nicht mit Menschen. Ich habe mich unter Druck gesetzt, es immer besser zu machen, bin gewaltvoll mit mir umgegangen. Ich musste erst einmal lernen, wohlwollend mir selbst gegenüber zu sein. Dann kann ich auch anderen viel besser begegnen, weil ich selbst motiviert bin und die natürliche Motivation meines Gegenübers in ein Gespräch einbeziehen kann. Ich habe Jahre gebraucht, das zu lernen.

Wie sind Sie vorgegangen?
Ich unterschied Fakten von Interpretationen. Wenn ich beispielsweise morgens nicht von meinen Mitarbeitern gegrüßt werde, sind die Fakten: Niemand hat etwas zu mir gesagt oder ich habe es nicht gehört. Was ich daraus mache, ist: Mich akzeptiert hier niemand. Die ignorieren mich. Es könnte aber auch sein, dass ich gar nicht bemerkt wurde, zu leise war oder deren Gruß nicht gehört haben. Ich kann also sachlich nachfragen: „Habt ihr mich grüßen ­gehört?“

Oder man sagt gar nichts und frisst alles in sich hinein.
Genau, da fängt alles an. Wir überprüfen die Fakten häufig nicht und haben dadurch keine gemeinsame Sichtweise. Am nächsten Tag fresse ich es wieder in mich hinein und bewerte erneut. So eskaliert ein Konflikt oft im Kalten, ohne dass darüber gesprochen wird. Man sollte also immer die Fakten zusammenfassen und eine sinnvolle Frage stellen: „Ich habe gestern ‚Hallo‘ gesagt. Ich kann mich nicht erinnern, dass einer von euch zurück gegrüßt hat. Habt ihr mich überhaupt gehört?“

Nur leider schweigen ­Gruppen oft, wenn sie etwas gefragt werden.
Dann kann ich sagen: „Ich kann euer Schweigen interpretieren, aber eine Alternative, die mir lieber wäre, ist, den wahren Grund dafür zu kennen. Gibt es etwas, dass es euch schwer macht, mir zu antworten? Dann würde ich das gern wissen.“ Es gibt schließlich Störungen, die Mitarbeiter tatsächlich daran hindern, vor anderen zu reden. Wenn jemand nicht antworten möchte, sorgt er im Grunde häufig für seine Sicherheit. Ich kann mich dann auch fragen: Was braucht diese Person, um sich sicher zu fühlen, damit sie gut mit mir oder uns sprechen kann?

Wenn der Schlüssel die ­Empathie ist, was tue ich, wenn ich so wütend bin, dass ich gar keine Lust darauf habe, empathisch zu sein?
Sie können keine Empathie geben, wenn sie selbst Empathie brauchen. Es gibt auch Menschen, die zu Leistungsempathikern werden. Sie fordern dann ganz viel Einfühlungsbereitschaft von sich, obwohl sie gerade eigentlich gar nicht einfühlsam sein können. Sie müssten erst einmal selbst für sich sorgen. Beispielsweise zu einem Vertrauten gehen, der sie versteht und zuhört, ohne ihnen gleich Lösungen anzubieten. Solche Menschen sind eine gute Quelle, um zu sich selbst zu finden.

Im Arbeitsalltag herrschen jedoch oft eher Druck und Stress und wenige scheinen wirklich bei sich selbst zu sein. Eigentlich sollten Führungskräfte den Druck von ihren Teammitgliedern nehmen können, sie stehen jedoch selbst meistens unter größtem Stress. Was tun?
Entlastung und Wertschätzung sind in Unternehmen die häufigsten Themen, denen ich begegne. Doch wenn ich Führungskräfte im Workshop nach ihren Zielen frage, spricht nie jemand über Entlastung. Führungskräfte meiden Entlastung, weil sie sich dafür schämen. Entlastung klingt für sie nach Schwäche und nicht nach einem verantwortlichen Umgang mit ihrer Zeit. Die Konsequenz: Menschen scheiden mit Burnout für Monate aus dem Arbeitsprozess aus, weil sie nicht gelernt haben, für sich zu sorgen, wenn sie unter Druck stehen. Sie wissen gar nicht, was sie fühlen.

Sind das die in der GFK ­sogenannten Pseudo-Gefühle?
Wir sprechen oft über Gefühle, die keine sind. „Ich habe das Gefühl, dass du nichts verstehst.“ Oder: „Ich habe das Gefühl, dass du das mit Absicht machst.“ Damit spreche ich nicht über ein Gefühl, sondern über meine Einschätzung. Wenn ich sage: „Ich habe das Gefühl, dass du nichts verstehst“, dann heißt das eigentlich, dass ich unsicher bin. Gewaltfrei ausgedrückt würde es heißen: „Ich hätte gerne die Sicherheit, dass ich verständlich bin. So wie ich deine Reaktion einschätze, bin ich mir nicht sicher, ob du verstanden hast, worum es ging. Kannst du mir vielleicht sagen, was du bisher nicht verstanden hast?“

So fällt man nicht in ­Rechtfertigungsmuster wie bei ­Vorwürfen.
Genau. Vorwürfe, auch die verdeckten, sind Formen von Gewalt, die wir in Unternehmen überall antreffen. Wir benutzen Sätze, ohne uns ihrer trennenden Wirkung bewusst zu sein.

Wie nehme ich Kritik nicht persönlich?
Jede Kritik ist zuallererst ein Anliegen dieser Person. Man kann es lesen lernen. Dann sollte man nachfragen, ob die eigene Interpretation stimmt. Das ist aber wirklich hohe Kunst.

Wohin mit der Wut?
Wut ist eine Herausforderung für unsere Haltung. Erst einmal erlaube ich mir, dass die Wut da ist, anstatt mir zu sagen: „Gute Menschen werden nicht wütend“. Wut heißt, mein Bedürfnis erfüllt sich nicht und gleichzeitig gebe ich dem anderen die Schuld dafür. Beispielsweise bei dem Satz: „Mit dir lässt es sich überhaupt nicht zusammenarbeiten.“ Wenn ich deswegen wütend werde, bedeutet das, ich gebe der anderen Person die Schuld, weil ich respektiert werden möchte. Jenseits meines Schulddenkens würde ich nicht in der Wut landen, sondern enttäuscht oder traurig sein. Vielleicht, weil ich mir wünsche, dass gesehen wird, was ich dazu beitrage, dass die Zusammenarbeit gelingt. Dafür brauche ich nicht zwingend den anderen.

Was ist mit Rechtfertigung?
Das ist eine andere Haltung. Bei der Rechtfertigung bin ich in einer Opferrolle und fertig, weil ich dem anderen Recht gebe. Ich brauche die Rechtfertigung nicht, wenn ich weiß, was ich beigetragen habe, wenn wir einmal bei dem Beispiel bleiben. Und wenn ich tatsächlich Fehler gemacht habe, gebe ich das lieber zu und lerne daraus. Wir tun jederzeit unser Bestes, das uns zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung steht. Keiner macht Fehler zum Vergnügen – vielleicht haben mir Informationen gefehlt oder ich war nicht so aufmerksam unterwegs, wie ich es mir gewünscht hätte.

Wie haben Sie den Konflikt mit der Führungskraft und den drei wütenden Mitarbeitern gelöst?
Ich habe die Führungskraft damit konfrontiert. Sie wusste gar nichts von dem Konflikt. Ich habe ihn benannt und sie hat eingesehen, dass es tatsächlich einen Vorfall gab, der nie abschließend geklärt worden war. Unsere Gespräche waren dann sehr entlastend für die Mitarbeiter, es flossen auch Tränen. Wir haben Vereinbarungen festgelegt für künftiges konstruktives Miteinander.

Doch viele Führungskräfte denken, sie hätten für die ­Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter keine Zeit…
Wenn wir auf das Beispiel schauen, sehen wir: Drei Mitarbeiter wurden damals eingestellt, eine Mitarbeiterin wieder entlassen, weil es durch die Konflikte nicht klappte. Der neue Mitarbeiter war nun auch nahe an der Kündigung. Wir haben nun zwei Tage Gespräche geführt und das geklärt. Vorher waren es drei Jahre Frust und Minderleistung. Eine Mitarbeiterin war gerade sechs Wochen nicht bei der Arbeit, nahe am Burnout, die andere Dame war bei einer Leistung von 60 Prozent, der dritte Mitarbeiter muss vielleicht nachbesetzt werden. Es lohnt sich also, nicht die Länge der möglichen Gespräche im Blick zu haben, sondern, wie hoch der Preis ist, wenn wir aufgehört haben, miteinander zu sprechen.

Warum coachen Sie ­ausgerechnet mit GFK?
Es erschien mir einfach wasserdicht und balanciert. Man kann Mensch sein mit all seinen Fehlern. Es bleibt ein Instrument, es ist kein Allheilmittel, aber unglaublich effizient und hilfreich, wenn man sich an die vier Elemente hält: Beobachtungen von Interpretationen unterscheiden, Gefühle von Pseudo-Gefühlen trennen, uns erst unserer Bedürfnisse klar sein, ohne gleich in Lösungen zu denken. Und am Schluss um etwas bitten, nicht fordern. Denn ein Nein ist häufig nur ein Nein zu meiner ­Lösung, aber kein Nein zu meinem Bedürfnis.

Buchtipp

GFK versteht unter Gewalt jede Form des Denkens oder Sprechen, die moralische Urteile enthält oder wenn man ohne Rücksicht auf andere die eigenen Bedürfnisse durchsetzt. GFK hilft uns, bewusster zuzuhören, und uns ehrlich und klar auszudrücken.

Marshall B. Rosenberg. „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“.  Jungfermann, 23,90 Euro.

Marshall B. Rosenberg. „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“.  Jungfermann, 23,90 Euro.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Psychologie. Der Kommunikator und seine Rolle. Das Heft können Sie hier bestellen.

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