Führung und Kommunikation: Ergebnisse der europaweiten ComGap-Studie

„Wir wollen Marktführer werden“ – das ist in vielen Firmen ein ganz selbstverständlich heruntergebetetes Management-Mantra. Tatsächlich gibt die angestrebte Dominanz im Hinblick auf den Marktanteil nur einen Ausschnitt der meist diffusen Vorstellungen wieder, die Menschen mit einem „führenden Unternehmen“ verbinden: Qualitative Aspekte kommen hinzu, etwa „Thought Leadership“ (durch Visions- und Innovationskraft), Bekanntheit oder globale Präsenz. Immer aber handelt es sich um eine Einschätzung im Vergleich zu anderen Unternehmen, mit der handfeste Vorteile einhergehen können. Die Chance, höhere Preise zu erzielen, gehört genauso dazu wie Vorteile bei der Rekrutierung von Mitarbeitern oder der Zugang zu politischen Entscheidungsträgern. Für Unternehmen – und Non-Profit-Organisationen gleichermaßen – lohnt es sich also, ihre Führungsrolle auch in der Kommunikation auszudrücken.

Wenn die eigene Organisation als „führend“ positioniert werden soll, stellen sich zwei entscheidende Fragen: Was sind die Inhalte und Attribute, mit denen dieses gelingen kann? Hier geht es folglich um die Frage der Kommunikationsinhalte und Botschaften in der jeweiligen Kommunikationsstrategie. Und: Mit welchen Instrumenten oder Kommunikationskanälen wird dabei am besten gearbeitet?

Beide Fragen werden in der aktuellen ComGap-Studie adressiert. Und bei den Antworten gibt es erhebliche Unterschiede in den Sichtweisen von PR-Profis und Bevölkerung.

Eigenschaften führender Unternehmen

Vertrauenswürdigkeit (genannt von 49 Prozent der Deutschen), hochwertige Produkte und Dienstleistungen (44 Prozent) sowie ein gutes Arbeitsklima (ebenfalls 44 Prozent) – das sind aus Sicht der Bevölkerung die drei wichtigsten Eigenschaften führender Unternehmen bzw. Organisationen. Die Deutschen liegen hier übrigens ganz nahe beim europäischen Durchschnitt der Antworten.

Anders sieht das Bild aus, wenn die PR-Fachleute sich zu Wort melden: Zwar halten auch sie Vertrauenswürdigkeit für die wichtigste Eigenschaft führender Organisationen (sogar 60 Prozent der deutschen PR-Profis). Weiter rangieren hochwertige Produkte und Dienstleistungen (58 Prozent) ganz oben im Führungsbild. Aber dann zeigen sich gravierende Unterschiede: Die Kommunikatoren nennen abstrakte Aspekte wie Innovation (57 Prozent), Finanzkraft (43 Prozent) oder Qualität der Unternehmensführung (46 Prozent) – und liegen damit etwa zwanzig Prozentpunkte von den jeweiligen Nennungen in der Bevölkerung entfernt.

Im Vergleich zur Bevölkerung überschätzen sie also Führungsmerkmale, die in der Management-Welt der Pressesprecher zweifellos hohe Relevanz haben, aber für die Frau und den Mann auf der Straße nicht recht nachvollziehbar sind. Dafür unterschätzen die deutschen PR-Profis im Vergleich die Bedeutung von Umweltverantwortung, Kundenservice und CSR in der Bevölkerung. Ihre österreichischen Kollegen liegen hier übrigens mit ihrer Einschätzung weitgehend richtig.

Insgesamt zeigt die Analyse der Einflussfaktoren auf die Führungsrolle von Unternehmen und Organisationen eines: Die Kommunikations-Professionals „ticken“ ganz anders als ihre Zielgruppen. Ihre Präferenzmuster unterscheiden sich deutlich. Dieser Befund gilt, mit unterschiedlichen Ausprägungen, in allen zehn untersuchten Ländern. Da die Planung und Gestaltung des Führungs-Images für jedes Kommunikationskonzept von hoher Bedeutung ist, legt die Studie den Finger in eine Wunde der PR-Planung: Wenn die Professionals schon bei diesem zentralen Thema so wenig mit ihren Zielgruppen übereinstimmen, wie mag das erst über die gesamte Bandbreite von Unternehmensthemen aussehen?

Kommunikation für die Führungsrolle

Im Selbstverständnis der Kommunikatoren ist die eigene Profession für die Vermittlung einer angemessenen Führungsrolle jedenfalls extrem wichtig. Fast jeder deutsche PR-Profi hält effektive Kommunikation in diesem Kontext für „äußerst wichtig“ (87,7 Prozent) oder „wichtig“ (11,4 Prozent). Bemerkenswert: Im Vergleich zur Bevölkerung gehen die Profis in allen europäischen Untersuchungsländern sehr viel häufiger von dieser hohen Relevanz der Kommunikation für die Führungsrolle von Organisationen aus, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Der Abstand ist in Frankreich und den Niederlanden am größten. Nun mag es an der professionellen Erfahrung liegen, die Wichtigkeit der Kommunikation für die Wahrnehmung der Führungsrolle eines Unternehmens oder einer Non-Profit-Organisation so hoch anzusetzen. Oder liegt es daran, dass wir Kommunikatoren dazu neigen, die Welt allzu sehr durch unsere eigene Brille zu sehen?

Diese Vermutung liegt nahe, wenn wir weitere Ergebnisse betrachten. Die Studie fragte auch danach, welche Kommunikationsinstrumente aus Sicht der Befragten den größten Einfluss auf die Meinung von Stakeholdern haben, wenn die Führungsrolle einer Organisation verdeutlicht werden soll. Und wieder zeigt sich eine große Kluft in den Einschätzungen von Kommunikatoren und Bevölkerung. So stimmen in Deutschland PR-Verantwortliche und Verbraucher zwar überein, wenn sie persönliche Auftritte oder Reden an die erste Stelle ihrer Rangliste setzen, allerdings mit mehr als zwanzig Prozent Abstand: Wieder äußern sich die Profis im Vergleich zur Bevölkerung deutlich häufiger positiv.

Instrumente und Medienmix

Ganz deutlich zeigen sich die unterschiedlichen Präferenzen, wenn es um ein Instrument geht, das von 60 Prozent der deutschen Profis (Rang 3), aber nur 32 Prozent der Bevölkerung (Rang 6) als maßgeblich für den Führungseindruck beschrieben wird: Interviews in den gedruckten Medien. Auch in anderen Ländern Europas weist die Studie auf große Unterschiede in der Bedeutung des gedruckten Interviews hin, besonders ausgeprägt sind sie in Großbritannien. Für die Kommunikatoren vieler Unternehmen sind Print-Interviews Vorhaben, die viel Zeit und Abstimmungsaufwand fordern – aber auch einen engen Kontakt mit der Unternehmensspitze bringen. Trifft hier der Paul Watzlawick zugeschriebene Satz zu „Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus…“? Liegen hier die Gründe für die große Zustimmung?

Defizite: Deutsche PR-Experten ticken anders als ihre Zielgruppe (c) Grafik: Mind The Gap - ComGap-Studie in Deutschland

Defizite: Deutsche PR-Experten ticken anders als ihre Zielgruppe (c) Grafik: Mind The Gap – ComGap-Studie in Deutschland

PR-Verantwortliche lernen ihr „Handwerk“ in der Praxis anhand von Erfahrungen mit bestimmten Kommunikationsinstrumenten. Sie fokussieren dabei traditionell auf „earned“ und „owned media“, in den letzten Jahren sind „shared media“ hinzugekommen. „Paid media“ gehören in der Regel nicht zu ihrem Verantwortungsbereich und wenn doch, sind die Budgets hierfür sehr klein. So mag es nicht überraschen, dass – übrigens europaweit – von den PR-Verantwortlichen Werbung im TV (Differenz -17 Prozent), in den Online-Medien (Differenz -13 Prozent) und in Printmedien (Differenz -12 Prozent) ganz deutlich unterschätzt wird. Dabei meint bis zu einem Viertel der Bürger, dass Werbung ihre eigene Meinungsbildung zur Führungsrolle von Unternehmen prägt.

Kluft zwischen Profis und Bevölkerung

Die Ergebnisse der ComGap-Studie zeigen ganz klar: Im Hinblick auf die Führungseigenschaften von Unternehmen und die Art, wie die Führungsrolle kommuniziert werden sollte, sind in Deutschland und Europa zwischen PR-Profis und der Bevölkerung deutliche Unterschiede zu finden (von denen nur ein kleiner Teil in diesem Beitrag dargestellt werden kann).

Kommunikations-Kanäle: Distanz zwischen Bevölkerung und Experten in Deutschland besonders groß (c) Grafik: Mind The Gap - ComGap-Studie in Deutschland

Kommunikations-Kanäle: Distanz zwischen Bevölkerung und Experten in Deutschland besonders groß (c) Grafik: Mind The Gap – ComGap-Studie in Deutschland

Nun sind unterschiedliche Einstellungsmuster zwischen „Experten“ und „Laien“ weder ungewöhnlich, noch per se gefährlich. Wenn es um die Planung und Realisierung von Kommunikation geht, sollten den Profis die unterschiedlichen Präferenzen aber mindestens bewusst sein. Wenn sie zu sehr in ihrer eigenen Welt leben, wenn die Distanz zu ihren Stakeholdern zu groß ist, sind Fehleinschätzungen in der Kommunikationsplanung und -umsetzung vorprogrammiert. Die Ergänzung der üblichen, meist rein quantitativ ausgerichteten Methoden für Kommunikationsanalyse und Evaluation durch qualitative Ansätze könnte dabei helfen, die Entfremdung der PR-Profis von ihren Stakeholdern deutlich zu verringern. Letztlich geht es aber darum: Je mehr die Kommunikationsprofession Teil des Management-Establishments mit seinen Riten, Begriffswelten und Abgrenzungen wird, desto wachsamer sollten die Profis darauf achten, mit der Lebens- und Einstellungswirklichkeit ihrer Zielgruppen in Verbindung zu bleiben. Die ComGap-Studie liefert hierzu zahlreiche Impulse.

Die von der Kommunikationsberatung Ketchum initiierte „ComGap-Studie“ wurde 2014 von einem internationalen Forscherteam der Universitäten Leipzig, Leeds, Amsterdam, Ljubljana und Madrid durchgeführt. In zehn europäischen Ländern vergleicht sie die Perspektiven von Bevölkerung und Kommunikations-Profis zu zentralen Kommunikationsthemen – und findet dabei erhebliche Unterschiede (englisch: „Gap“). Knapp 1.350 Kommunikations-Verantwortliche aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien steuerten ihre Antworten bei. Sie sind in aller Regel erfahrene PR-Praktiker der ersten oder zweiten Führungsebene. Ergänzt wurde ihre Sichtweise durch Online-Bevölkerungsbefragungen in den selben Ländern. Dabei bilden Alter und Geschlecht der über 4.000 Teilnehmer die Bevölkerung des jeweiligen Landes repräsentativ ab. Die Reports „Mind the Gap“ für Europa und Deutschland sind im Netz unter de.slideshare.net vollständig zu erhalten.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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