Freude am Kontrollverlust

Kulturwandel 4.0 bei Otto

Herr Zander, Sie sind seit Mai dieses Jahres Head of Corporate Communications E-Commerce bei der Otto Group, haben also inmitten des Kulturwandels angefangen. Was ist Ihr Eindruck, wie hat sich die Arbeit der Unternehmenskommunikation verändert?

Martin Zander: In den vergangenen Jahren gab es bei der Otto Group eine sehr erfolgreiche und professionelle Unternehmenskommunikation. Es gab einen prämierten Geschäftsbericht, Pressemitteilungen, Studien und so weiter. Das meiste entstand aus der Abteilung selbst heraus – und genau das hat sich ein Stück weit gewandelt. Durch soziale Netzwerke sind in den vergangenen Jahren viele Menschen als Kommunikatoren hinzugekommen, die nicht als solche ausgebildet sind, beispielsweise der Developer, der in Blogs oder auf Konferenzen kommuniziert.

Und der soll nun auch von der Kommunikationsabteilung auf die Strategie eingeschworen werden?

Nein, genau das wird in der Breite nicht funktionieren. Bis vor einigen Jahren war der Anspruch einer Kommunikationsabteilung ganz sicher der, kommunikative Prozesse im besten Sinne zu kontrollieren, das ist heute anders.

Inwiefern?

In der Masse der neuen Kommunikatoren sehen wir uns inzwischen eher als Moderator und Enabler. Natürlich müssen wir bis zu einem bestimmten Grad mitbekommen, was auf den einzelnen Kanälen passiert, wie öffentlich über die Otto Group gesprochen wird, also monitoren und gegebenenfalls auch einmal nachsteuern. Aber wir können nicht diejenigen sein, die einem hochqualifizierten Developer, der auf seinen Social-Media-Kanälen über sein Arbeitsumfeld im Unternehmen spricht, diktieren, wie er seine Inhalte zu fassen hat. Wir können nur ein gewisses Rahmengerüst aufbauen.

Und wie genau sieht ein solcher Rahmen aus?

Momentan arbeiten wir zum Beispiel daran, für verschiedene Bereiche Leitfäden aufzusetzen, kurz gefasste Kommunikationsmanuals, die eher als Hilfestellung gedacht sind, weniger als Vorschriftensammlung.

Fiel es Ihnen als Kommunikationsabteilung nicht schwer, ein Stück weit Kontrolle abzugeben?

Wir haben ja immer noch genug zu tun. Die digitale Transformation schreitet so schnell voran und mit ihr sind so viele zusätzliche Kanäle und Netzwerke entstanden, dass man im Zweifel ohnehin nicht mehr alles kontrollieren kann und auch nicht möchte. Wir nutzen die Positiveffekte dieses lustvollen Kontrollverlusts aus. Wenn Sie Experten in Ihrem Unternehmen haben, die mit Freude in ihren Netzwerken kommunizieren und die sich bei uns wohlfühlen, dann hat das einen sehr positiven Effekt für den Konzern.

Sie sind also nur stiller Beobachter dieser neuen Kommunikatoren?

Wir beobachten und verstärken, vor allem aber ertüchtigen wir. Stellen sich Experten aus verschiedenen Bereichen zum Beispiel als kommunikativ stark heraus, da sie vielleicht schon einmal auf einer Konferenz gesprochen haben oder eine große Relevanz in einem konkreten Netzwerk haben, dann gehen wir auch aktiv auf sie zu und fragen beispielsweise, ob sie mal einen Beitrag auf unserem Blog „Unterwegs“ schreiben wollen oder wir sie in eine Gesprächsrunde schicken können.

Wie kam es überhaupt zu dem Kulturwandel 4.0, der im vergangenen Winter angestoßen wurde? Haben die äußeren Umstände diesen zwingend notwendig gemacht?

Jeder weiß inzwischen, dass Geschäftsmodelle, die noch vor einigen Jahren erfolgreich waren, sehr schnell irrelevant werden können. Das haben nicht zuletzt die Insolvenzen von Quelle und Neckermann vor ein paar Jahren deutlich gemacht. Wir hatten und haben zum Glück in Michael Otto jemanden, der immer schon eine große unternehmerische und gesellschaftliche Weitsicht hatte und dem es gelungen ist, rechtzeitig den Wandel vom Versand- zum Online- und Mobilehändler zu vollziehen und die Otto Group zukunftsfähig aufzustellen.

Ein Change wie dieser Kulturwandel führt meistens zu einer großen Verunsicherung der Belegschaft. Wie versuchen Sie, Sorgen und Zweifel zu minimieren?

Durch Transparenz. Wir haben von Anfang an die Idee des Kulturwandels 4.0 mit allen Mitarbeitern geteilt und jeden Entwicklungsschritt entweder live oder am nächsten Tag via Text, Foto oder Videomitschnitt kommuniziert. Inzwischen haben wir  verschiedene Workstreams etabliert, das sind Teams, in denen jeweils ein Vorstandsmitglied mit Mitarbeitern aus allen Bereichen und Ebenen zusammenarbeitet, um gemeinsam neue Ideen zu Themen wie zum Beispiel Collaboration oder Empowerment zu sammeln.

Und damit passiert dann was genau?

Diese Teams präsentieren ihre Ergebnisse über das Intranet und auch über einen sehr erfolgreichen internen Kulturwandel-Newsletter, der wöchentlich erscheint. Auch hier übernehmen wir vor allem eine koordinierende Rolle – die Inhalte werden größtenteils von den Mitarbeitern selbst bereitgestellt. Die Kommunikation – auch seitens des Vorstands – ist insgesamt also sehr offen und transparent. Das gilt im Übrigen auch für die Ergebnisse der Vorstandsmeetings. Immer im Anschluss an diese stellt sich einer der Vorstände vor die Kamera und klärt alle Kollegen per Videobotschaft darüber auf, was diskutiert und welche Entscheidungen getroffen wurden.

Die neu eingeführte allgemeine Duz-Kultur bei Otto, auch gegenüber Vorständen, zu der Vorstandschef Hans-Otto Schrader eingeladen hat, hat medial große Wellen geschlagen …

In der Tat. Als Hans-Otto Schrader dazu bei Xing einen Beitrag geschrieben hat, gab das ein riesiges Echo. Das hat uns nochmals gezeigt: Wir müssen zukünftig noch stärker outside-in kommunizieren, also schauen, was in der Welt passiert, an Themen anknüpfen. Wenn die ganze Welt über Drohnen diskutiert, lohnt es sich beispielsweise, etwas über unseren neuen Hermes-Paketroboter zu schreiben. Damit greifen wir in eine Debatte nicht nur ein, sondern liefern zusätzlich einen sehr relevanten, neuen Aspekt – ohne den Anstoß zur Debatte an sich gegeben zu haben.  

Zurück zum „Du“. Ist die neue Ansprache wirklich so bahnbrechend? Inwiefern führt der Verzicht auf Formalitäten überhaupt zu einer offeneren Dialogkultur?

Für uns ist das vor allem ein äußeres Zeichen des Kulturwandels. Wir wollen damit versuchen schneller vom „Ich“ zum „Wir“ zu kommen. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht mehr siezen darf oder jemand, der nicht aufs „Du“ umsteigen möchte, sich damit gleich isoliert und nicht mehr zu uns passt. Natürlich gibt es noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das „Sie“ verwenden, einfach weil sie es schätzen oder nutzen, um Arbeit und Privates voneinander abzugrenzen. Auch ich sieze Leute, wenn ich nur einmal im Jahr mit ihnen zu tun habe. Das „Du“ ist ein Angebot, kein Zwang. Der Vorstand nutzt es und der Großteil der Mitarbeiter auch. Und, ja, es ist schon jetzt sehr zu spüren, dass das Barrieren senkt und die Dialogkultur verbessert.

Lesen Sie mehr Interviews und Berichte vom Kommunikationskongress 2016 in unserem Online-Dossier.

 

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