Die unterschätzte Kraft der Unternehmenssprache

Angenommen, Sie stünden mit verbundenen Augen in einem Raum. Aus einem Lautsprecher hörten Sie dies: „Hej, entdecke heute unseren HÄRÖ Klapptisch. Dein neuer Mitbewohner schafft dir schnell mehr Platz auf deinem Balkon und lässt sich im Handumdrehen reinigen!“ Wo Sie sind? Das wissen Sie vermutlich genau. Ikea steckt in unseren Köpfen – ohne einen einzigen visuellen Reiz. Das Unternehmen nutzt die Möglichkeiten von Sprache so konsequent wie kaum ein anderes.

Anzeigentexte, Katalogbeschreibungen und Telefonansagen – überall begegnen wir dem Ikea’schen Idiom mit dem typischen „Du“ als Anrede, schwedischen Produktnamen, integrierten Handlungsaufforderungen („Entdecke …“) und Produkt-Personifizierungen („Dein neuer Mitbewohner schafft …“). So einfach diese Mittel im Einzelnen sind, so wirkungsvoll ist die Corporate Language als Paket. Auch Versicherungsunternehmen wie der Provinzial NordWest Konzern schlagen mit einer verständlichen und sympathischen Sprache eine Brücke zwischen Markenwerten und Zielgruppe. Formulierungen wie „Bei Fragen sind wir gern für Sie da“ wirken wesentlich stärker ein als „Kommen Sie auf uns zu, wenn Sie Fragen haben“.

Sprache transportiert Inhalte, denen man sich kaum entziehen kann. Sie weckt Emotionen und vermittelt die Kultur des Unternehmens. Zu einem stimmigen Markenauftritt gehört, neben dem Corporate Design und dem Corporate Behavior, auch eine Unternehmenssprache als weitere Säule der Unternehmensidentität.

Banken und  Versicherungen verschicken jährlich millionenfach Briefe. Das Corporate Design ist in diesen Mailings meist perfekt umgesetzt. Doch die Sprache? Sie variiert mit jedem Autor. Das klingt nach Freiheit, bedeutet in der Regel aber Beliebigkeit, ein breites Spektrum an Textqualitäten und dissonante Botschaften. Mit zunehmendem Wettbewerb und wachsenden Verbraucheransprüchen erkennen Unternehmen immer mehr, wie mächtig richtige Worte wirken können – nach außen wie innen.

Sieben Tipps für eine erfolgreiche Corporate Language

1. Sprache ist Chefsache
Bemühungen um eine gemeinsame Sprache – und seien sie
noch so leidenschaftlich – sind ohne klares Bekenntnis der ­Unternehmensleitung zum Scheitern verurteilt.
2. Alle machen mit
Bei der Entwicklung der Unternehmenssprache müssen alle ­Unternehmensbereiche und Textproduzenten vertreten sein.
3. Textkritik mit Gefühl
Oft unterschätzt: Schreiben ist ein sehr persönlicher Prozess. ­Gehen Sie Textbesprechungen daher immer behutsam an.
4. Sprache für die Praxis
Die Unternehmenssprache muss anwendbar sein und ­angewendet werden. Dies gelingt, wenn sie im Alltag konkret Orientierung bietet.  
5. Schulung aller Beteiligten
Ob intern oder extern: Jeder Textproduzent muss in der Lage sein, die Corporate Language umzusetzen.
6. Evaluation der Sprache
Regelmäßig gilt es zu prüfen, ob die Sprache des Unternehmens mit der festgelegten Corporate Language ­übereinstimmt. Eine Sprach-Software kann bei der ­Umsetzung helfen.
7. Sprache ist lebendig
Corporate Language ist kein Projekt mit einem klar ­definierten Ende. Die Unternehmenssprache ist nur dann effektiv, wenn sie im Prozess lebendig bleibt.

Denn mit verbindlichen Terminologien und Schreibregeln gibt die Unternehmenssprache im Arbeitsalltag hilfreiche Orientierung. Vor allem deshalb pflegt beispielsweise auch der Hersteller für Medizin- und Sicherheitstechnik Drägerwerk eine Corporate Language. Einheitliche Begriffe und Schreibregeln sorgen bei dem Unternehmen für flüssige Arbeitsabläufe. Durch Wortwahl und Textaufbau wird seine ­„Technik für das Leben“ sprachlich wahrnehmbarer.

Klar wird: Wenn ein Unternehmen eine individuelle Sprache wählt, muss sie genau zu ihm, seinen Produkten und Kunden passen. So setzt Nivea zum Beispiel konsequent auf eine bildhafte, gefühlvolle Sprache. Die Begriffe „Pflege“, „Haut“ oder „sanft“ werden häufig gespielt. Das familiäre Ikea-Du wiederum wäre für eine Bank ganz undenkbar.

Wie bringt man nun einer Marke das richtige Sprechen bei? Eine Corporate Language ist kein Hexenwerk. Man startet mit einer ­Analyse aktueller Texte des Unternehmens und seiner Wettbewerber. Schon das legt sprachliche Baustellen offen. Dann wird definiert, welche zentralen Werte des Unternehmens die Sprache künftig transportieren soll. Als nächstes gilt es, diese Werte in Sprachwerte zu übersetzen und sprachliche Transportmittel festzulegen: Schreibregeln, Formulierungen, Tonalität. In einem Corporate Language Handbuch übersichtlich dargestellt, schaffen die Sprachregeln die nötige Verbindlichkeit und machen die Sprache praxistauglich.

Der Aufwand, eine Corporate Language zu schaffen, ist überschaubar, der Nutzen umso größer. Unternehmen schärfen mit einer eigenen Sprache ihr Profil und ihre Botschaften, sie werden besser gehört und schneller wieder­erkannt. Und ruckzuck sind wir alle auf Du und Du mit einem Möbelhaus.

 

Interview

Schwedische Einfachheit – Praxisbeispiel Ikea

Pressesprecherin Sabine Nold über die Unternehmenssprache bei Ikea Deutschland.

Interview: Jeanne Wellnitz

Frau Nold, wie würden Sie Ikeas Sprachstil beschreiben?
Sabine Nold: Er ist sehr einfach. Wir möchten für viele Menschen erreichbar sein. Als schwedisches Unternehmen richten wir uns auch nach den schwedischen Sprachgegebenheiten. Schwedisch ist eine sehr klare, einfache Sprache.

1943 gründete Ingvar Kamprad Ikea in Schweden. Ist die Unternehmenssprache ein Überbleibsel des Firmengründers?
Sie gehörte von Anfang an zum Unternehmen. Der Firmengründer hat das ganz klar vorgegeben, dass es eine sehr verständliche Sprache sein soll.

Foto: Ikea Deutschland

Ikea-Gründer Ingvar Kamprad gilt als einer der reichsten Männer der Welt.

Über 30 Jahre später wurde das erste Haus in Deutschland eröffnet. Wie wurde der Sprachstil übertragen?
Es gibt natürlich eine Übersetzung, aber die Sprache ist auch sehr stark an die Unternehmenskultur gekoppelt. Wir arbeiten insgesamt so unkompliziert wie möglich, das drückt sich auch in der Sprache aus.

Wie lauten die Regeln für diese Unternehmenssprache?
Wir haben ein Handbuch dafür. Vor allem, weil wir ein internationales Unternehmen sind, muss geregelt werden, wie viele Begriffe übersetzt werden sollen.

Und wer hat diese Anleitung aufgebaut und konzipiert?
Die Kommunikationsabteilung der jeweiligen Länder. Es gibt auch ein internationales Team, das bespricht, welche Dinge wie übersetzt werden.

Wie schlägt sich diese Unternehmenssprache in Ihrer täglichen PR-Arbeit nieder?
Wir wollen ein gutes Gleichgewicht finden zwischen Begriffen, die wir wegen der Verständlichkeit auf Englisch lassen und gleichzeitig gewährleisten, dass Sprach-Kontinuität gesichert ist. Wir haben die Situation, dass die Texte von Schwedisch ins Englische übertragen werden und dann erst auf Deutsch.

Die Ikea-Werbespots arbeiten ebenso mit einfacher Sprache, und schwedischem Akzent. Wie verläuft die Zusammenarbeit zwischen PR-Abteilung und Marketing?
Es gibt eine Übersetzungsabteilung, die für beide Bereiche arbeitet und alles bündelt, was sich um die Unternehmenssprache dreht.

Wird dieser Stil auch intern gelebt?
Richtlinie ist immer, dass alle Infos so weit heruntergebrochen werden, dass wirklich jeder Mitarbeiter sie versteht, auch ein Fachfremder.

Was meinen Sie, könnte dieses Konzept auf alle Unternehmen übertragen werden?
Das würde bestimmt in jedem Unternehmen funktionieren. Wir haben aber den Vorteil, sehr nahe am Kunden zu sein. Überall dort, wo man sich mit Dingen beschäftigt, die unmittelbar mit dem Alltag des Kunden zu tun haben, klappt das gut.

Die Kunden bei Ikea werden mit „Du” angesprochen …
Wir haben das ungefähr 2003 eingeführt, die Idee  kommt auch aus dem Schwedischen. Dort ist es eher unhöflich, jemanden zu siezen. Damit drückt man aus, dass man Distanz herstellen möchte. Wir duzen überall dort, wo die Kunden nicht direkt angesprochen werden. Wenn sie jedoch im Einrichtungshaus mit den Mitarbeiter sprechen, wird gesiezt.

Hat sich schon einmal jemand über das Duzen aufgeregt?
Es gibt immer mal wieder vereinzelte Stimmen, die das unangemessen finden. Wir erklären dann den schwedischen Hintergrund und versichern, dass wir uns im direkten Kundenkontakt an die deutschen Höflichkeitsregeln halten.

Wie haben Sie das kommunikativ begleitet, dass Ikea duzt?
Wir haben die Regeln klar erklärt, wann wir duzen und siezen. Unsere Journalisten siezen wir. Die Kunden, die wir per Massenkommunikation erreichen und in der Werbung duzen wir.

Hat das Duzen das Sprachklima verändert?
Eigentlich kaum. Intern waren wir ja immer an das „Du“ gewöhnt. Aber es ist unkomplizierter und die Sätze wirken weniger geschraubt.

Zum Abschluss noch eine Frage aus Neugier: Wer ist der Sprecher mit schwedischem Akzent aus dem Werbespot?
Ich weiß nur, dass er Jonas mit Vornamen heißt und er ist natürlich ein Schwede.*

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Fehler. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel