Den CEO fürs Interview wappnen

Herr Rossié, der nächste Interviewtermin steht an. Der CEO muss nun sinnvoll gecoacht werden. Worum sollte sich der Pressesprecher nun kümmern?

Michael Rossié: Das Interview beginnt schon lange bevor es tatsächlich startet, und endet, wenn der Journalist im Auto sitzt und man ihm nachwinkt. Wenn der Chef beispielsweise zum verabredeten Interviewtermin ins Büro kommt und laut zu seinem Pressesprecher sagt: „Mensch, war das eine anstrengende Betriebsratssitzung. Ich könnte sie alle umbringen … ah hallo Herr Journalist“, das geht gar nicht. Der Sprecher läuft auch vor dem Termin den Weg ab, den der Journalist mit ihm gehen wird. Es gibt auch kein „unter uns“, auch keine Privatmeinung. Außer es besteht ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zum Journalisten.

Und wie sollte die Umgebung vorbereitet sein?

Der Raum muss gut geplant sein. Sitzt der Chef im Ohrensessel, der noch wippt und der Journalist auf dem Arme-Sünder-Bänkchen, ist das keine positive nonverbale Botschaft. Ich würde immer über Eck sitzen und nicht im großen Konferenzraum. Wenn die Kamera dabei ist, muss man außerdem überlegen, wie man den Hintergrund gestaltet.

Ein „Stern“-Interview mit dem Goldmann-Sachs-Chef Alexander Dibelius ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn der Pressesprecher nicht aufpasst: Die Fotografen nahmen Dibelius mit der Silhouette von Frankfurt auf, rechts neben ihm standen drei Blumenvasen. Später war folgende Bildunterschrift zu lesen: „Die Tulpen sind bereits erschöpft“. Da freuen sich die Reporter ein Loch in den Bauch! Ich finde, da muss der Pressesprecher doch sofort intervenieren: „Nehmen Sie bloß die Tulpen weg!“.

Der Chef sollte also nie allein zu einem Interview gehen?

Man geht immer zu zweit! Der Pressesprecher steht während der Aufnahmen immer neben dem Kameramann und prüft, wie das Bild ist. Wenn der Kameramann zu weit aufzieht und der Chef noch ein Preisschildchen unter der Schuhsohle hat, muss der Pressesprecher einschreiten. Man sollte auch Zeichen für den Notfall vereinbaren. Wenn der Chef eine falsche Zahl sagt, muss der Pressesprecher sofort reagieren. „Ich gehe einmal kurz raus“ könnte dann heißen „Wir machen das noch einmal“. So kann man sich durch ein geheimes Zeichensystem gut vorbereiten.

Und noch ein wichtiger Tipp: Der CEO sollte sich unbedingt den Namen des Journalisten merken. Der Chef braucht vorab eine Visitenkarte vom Journalisten. Namen und Medium nicht zu kennen, ist peinlich.

Kommen wir zur konkreten Interviewsituation. Wie sollten die Antworten vorab trainiert werden?

Das wichtigste beim CEO-Coaching ist: Wo ist die Botschaft? Was wollen wir denn überhaupt sagen? Man kann das mit Tennis vergleichen: Die meisten nehmen einfach den Schläger in die Hand und schlagen die Bälle zurück. Und am Ende fragt man sich, „Hast du jetzt auch einmal ein Ass geschlagen?“, „Hast du irgendetwas übers Netz gebracht?“. Der Pressesprecher muss sich mit seinem Chef hinsetzen und sagen: „Chef, wenn wir uns eine Schlagzeile aussuchen dürfen, welche wäre das dann?“. Und diese Schlagzeile übt er dann mit ihm, sodass er diese Botschaften gut vermitteln kann. Es sollten bestenfalls drei Kernbotschaften sein, die man dem Chef mit auf den Weg gibt. Um diese herum erzählt er dann seine Geschichten.

Sollte er diese Geschichte spontan formulieren oder konkret vorbereiten?

Ganze Sätze auswendig zu lernen ist etwas für Schauspieler, nicht für CEOs. Die meisten Firmen geben Q&A-Kataloge an den CEO. Solche Kataloge enthalten immer ausgeschriebene Sätze. Und das ist das Problem: Niemand hat Zeit, diese auswendig zu lernen. Wenn der Chef im Interview dann doch in solch eine Formulierung reinrutscht, weiß er nicht mehr, wie der Satz zu Ende geht.

Das Q&A-Format hat also ausgedient?

Ja, es sollten nur Stichpunkte auf dem Zettel stehen. Was wirklich hilft, ist ein Gespräch vorher. Wenn ich dem CEO die Fragen stelle, die der Journalist auch fragen wird, dann sind alle Antworten im Arbeitsspeicher. Und während man diese durchgeht, fällt einem auch auf, was noch nicht so gut läuft.

Sollte der Pressesprecher dem CEO auch sagen, was er alles nicht machen darf?

Was gar nicht geht, ist, wenn der Sprecher sagt: „Wichtig ist, dass die 150 Mitarbeiter, die wir entlassen wollen, noch nicht erwähnt werden. Wir müssen erst noch mit dem Betriebsrat reden. Denk nicht an diese Mitarbeiter!“ Dann hat er sie die ganze Zeit im Kopf. Man sollte also nur Botschaften trainieren, die auch gesagt werden dürfen.

Also vertraut man dem CEO, dass er von selbst weiß, was besser unerwähnt bleibt?

Höchstens ein paar Tage vorher kann man ihm sagen: „Es wäre mir lieber, wenn du über A statt über B sprichst. Aber der Coach sollte nicht am Tag vor dem Interview in seine Augen gucken und sagen „Bitte nicht B!“, das funktioniert nicht. Wir können nicht negativ denken, der CEO braucht ein positives Ziel.

Was könnte noch im Gespräch mit Journalisten helfen?

Ein Pressesprecher sollte Geschichten sammeln –  von seinem CEO, aus dem Marketing, aus der Produktion oder Kunden-E-Mails. Wenn ich Pressesprecher wäre, hätte ich einen Zettelkasten voller Geschichten. Die sind im Interview für den Journalisten ein gefundenes Fressen. Pressesprecher sollten also in der Produktion anrufen: „Leute, als ihr das neue DX23 herstellt hat, gibt es dazu eine Geschichte?“. „Ja, das war ein Hickhack, wir haben erst die falsche Legierung benutzt und dann …“ – das kann eine wunderbare Anekdote sein. Oder wenn es eine gute User-Mail zum neuen Service gibt, sollte es im Interview erwähnt werden. Außerdem: Wenn der CEO strahlt, weil er eine gute Story erzählt, dann freuen sich auch die Journalisten.

Es gibt aber auch einige Pressesprecher, die sich in ihrer Euphorie manchmal etwas überschlagen …

Sollte das geschehen, ist jedoch nicht die Technik falsch, sondern sie übertreiben es einfach. Und oberstes Gebot ist sowieso: Es wird nichts erzählt, was nicht stimmt. Man sieht jede Lüge. Ich erkenne sie sofort, warum sollte der Journalist sie dann nicht sehen? Man sollte den CEO nicht zu Geschichten anstacheln, sondern sie subtil herauskitzeln. Pressesprecher können das nämlich nicht so gut erzählen. Das muss schon der Chef machen.

Warum können Pressesprecher die Geschichten nicht so gut erzählen wie der CEO?

Eine wirklich gute Geschichte ist immer eine persönliche Geschichte. Der Schlüssellochblick in den Alltag des Chefs – das ist das, was Journalisten, Leser oder Zuschauer interessiert. Der Pressesprecher ist ja in den langen Sitzungen, bei den Produktpräsentationen oder beim Ringen um die Finanzierung nicht dabei. Und die Augen leuchten eben nur bei einer eigenen Geschichte.

Und wie steht es mit Zahlen und Fakten, braucht der CEO sie für das Interview?

Ich finde Sachinformationen absolut überschätzt für ein Interview, sowohl für Zeitungen als auch fürs Fernsehen. Sachinformationen gehören auf einen fotokopierten Zettel. Wenn ich jetzt ein neues Produkt hätte, würde ich dem Journalisten die Sachinformationen auf einem Zettel reichen und ich würde dann die Geschichten dazu erzählen.

Also sollte der CEO keine Zahlen auswendig lernen?

Das ist geradezu absurd, dazu hat er keine Zeit. Selbst wenn es ihm gelänge, würde der Journalist denken: „Na, das hat er aber toll auswendig gelernt“. Und der denkt ja sowieso auch: „Der soll sich um sein Produkt kümmern, nicht um mein Interview“. Ihm sind die Zahlen schon wichtig, aber der Sprecher muss sie ihm geben, nicht der CEO.

Wie kreativ darf ein Pressesprecher denn abseits von Zahlen sein?

Was sehr schön funktioniert, ist, wenn man dem CEO Metaphern anbietet. Aber natürlich dosiert – ich kann nichts mehr über „Segelschiffe“ oder „Bergsteigergruppen“ hören. Aber nehmen wir an, wir hätten gerade WM oder Ähnliches und dieses Bild liegt dem CEO auch und zieht sich durch das Interview – das wäre klasse. Pressesprecher sollten kreativ werden und dem CEO gute Metaphern anbieten.

Es gibt auch nonverbale „Antworten“, die ein CEO geben könnte. Sollte die Körpersprache also ebenfalls gecoacht werden?

Das mache ich anders als die meisten. Ich lasse die Körpersprache eines Menschen in Ruhe. Denn es ist extrem schwer, Anweisungen für die Körpersprache zu befolgen. Meine Devise lautet: Bloß keine negativen Anweisungen erteilen! Nehmen wir einmal an, der CEO kratzt sich immer an der linken Wange, ist dem Journalisten aber sympathisch. Dann würde der Journalist wahrscheinlich schreiben, wenn überhaupt: „Der CEO kratzt sich an der linken Wange“. Aber das ist unwahrscheinlich. Schließlich ist ihm der Interviewpartner doch sympathisch, hat zudem eine tolle Botschaft, und Journalisten wollen auch einfach nur ihr Geld verdienen. Wenn der CEO aber nun dauernd an seine kratzende Hand denkt, spricht er gestelzt und macht seltsame Pausen. Dann wundert sich der Journalist erst recht.

Also braucht der CEO kein „Schauspieltraining“?

Man coacht Körpersprache nur, wenn jemand sehr fit und erfahren ist. Das ist ein schwieriger Prozess, und Schauspiel ist ein Lehrberuf. Stellen Sie sich vor, da kommt ein Team von „Plusminus“ vorbei und der Reporter sagt: „Wir wollen eine Reportage über Sie machen und brauchen mal ein paar Schnittbilder“. Der CEO betritt für die Szene das Büro, nimmt den Aktenordner aus dem Regal, dreht sich herum und dann kommt die erste Frage des Interviewers. Ich sage jedem Pressesprecher: „Lassen Sie es!“. Das sieht grausam aus. Machen Sie bloß keine schauspielerischen Übungen mit dem CEO. Davon muss ein Pressesprecher seinem Chef abraten.

Wie weit kann ein Pressesprecher bei dem Coaching gehen?

Das klingt jetzt ein bisschen albern, aber gutes Essensmanagement ist auch enorm wichtig. Nach zwei Campari an der Bar sollte man als Politiker nicht anfangen, über die deutsche Geldmarktpolitik zu reden. Auch ungünstig: Vor einem Interview einen Schweinebraten mit Knödeln gegessen zu haben oder vier Kaffee auf nüchternen Magen zu trinken. Der Pressesprecher muss ihm sagen, wann er essen kann, und wann eine Pause ist. Damit der Tag vorbereitet ist. Alles andere wäre eine mangelnde Wertschätzung gegenüber dem Journalisten.

Und die CEOs lassen sich das auch sagen?

Das ist natürlich eine Kunst. Aber jeder Pressesprecher sollte seinen Chef im Griff haben. Der eine sagt: „Verflucht noch mal, Sie wissen, wie das letzte Mal danebengegangen ist. Nun hören Sie ein einziges Mal im Leben auf mich.“ Der andere sagt es vorsichtiger: „Laut meiner Erfahrung wäre es wichtig, dass …“. Also, die meisten Pressesprecher haben ihren CEO im Griff, sie werden schließlich gut bezahlt, tragen große Verantwortung. Sprecher, die ihren Job gut machen, genießen das Vertrauen ihres Chefs. Sie können ihm Sachen sagen, die ihm sonst niemand sagt. Ein Pressesprecher muss solche Dinge ansprechen können. Natürlich macht das jeder auf seine Art. Ich habe auch erlebt, dass Chefs äußerst sensibel auf Kritik reagierten. Feedback erfordert viel Fingerspitzengefühl und man muss natürlich auch einmal loben. CEOs sind meist nicht daran gewohnt, dass ihnen jemand die Meinung sagt.

Woran erkennt der Pressesprecher, dass die Vorbereitung gut lief?

Der CEO sollte immer gestärkt aus der Vorbereitung hervorgehen. Wenn ein Coaching zur Folge hat, dass der CEO unsicher und durcheinander ist, stöhnt, jammert oder in Tränen ausbricht – dann ist das keine Vorbereitung. Deshalb sollten auch schwere Übungen niemals zum Schluss durchgeführt werden. Am Ende braucht der Chef zur Motivation immer eine leichte Übung. So kann der Pressesprecher die Lernkurve auch loben. Egal, wie groß sie ist.

Was tun, wenn der CEO seine Nervosität nicht abschütteln kann?

Nervosität ist nun einmal da. Und wenn der CEO aufgeregt ist, ist das so. Ein König entschuldigt sich nur für Dinge, für die er etwas kann. Ich entschuldige mich beispielsweise, wenn ich mich nicht vorbereite oder zu spät komme, aber Lampenfieber ist völlig normal. Man kann es einfach zulassen: „Ja, ich bin nervös, ja, ich stehe hier für ein Interview“. Das ist Übungssache. Und: Man muss ja nicht gleich mit dem wichtigsten Medium der Welt anfangen.

 

Weitere Artikel