Das digitale Zeitalter braucht die analoge Rede

Kolumne

Wir chatten, skypen, bloggen und posten. Das Büro wird papierloser, die Arbeit effizienter, die Kommunikation digitaler. Wo hat da eine klassische Rede noch Platz? So richtig mit Redner und Publikum. Nicht nur per Podcast. Welche Bedeutung hat die Rede noch für die Kommunikation von Unternehmen, Verbänden, von Kirchen, Kultur, Politik und Wissenschaft? Und wie muss eine Rede aussehen, um neben Intranet und Instagram bestehen zu können?

Mit diesen Fragen haben wir uns gestern bei der Tagung „Redenschreiben“ in Berlin beschäftigt. Um das Ergebnis zusammenzufassen: Die klassische Rede hat sehr wohl eine wichtige Bedeutung, wenn man sie als Kommunikationsmittel zu schätzen weiß und die Vorzüge kennt, die sie der einfachen medialen Umsetzung gegenüber hat. Denn natürlich kann ich einen Vorstandsvorsitzenden oder eine Kanzlerin an den Schreibtisch setzen, die Kamera draufhalten, die Rede ins Netz stellen und für alle Mitarbeiter des Unternehmens oder für die Bevölkerung den Link bei Facebook posten. Dann bin ich zwar ganz groß im Nutzen sogenannter Social Media, liefere aber ein in vielen Fällen leider grausiges stocksteifes Rede-Ergebnis.

Eine Rede soll überzeugen – durch Sprache, Gestik und Mimik

Das kann die Rede in Echtzeit und vis-à-vis besser. Historisch betrachtet – das heißt zu den rhetorischen Anfängen der Antike – waren viele Reden vor allem Argumentations- und Überzeugungsreden vor Gericht und in der Politik. Solche Reden leben nicht nur vom Wortlaut, sie leben von einer Mischung aus gesprochenem Wort und Betonungen, Gestik und Mimik, Stimmung und vor allem Pausen. Pausen, an der richtigen Stelle gesetzt, sorgen manchmal für mehr Wirkung und mehr Betonung als jeder wohlfeil formulierte Satz.

Nun stelle man sich die Mitarbeiter eines Weltkonzerns vor, die ihrem Boss anlässlich der großen Motivationsrede auf den firmeninternen Smartphones beim Pausemachen zusehen. Das funktioniert nicht. Und deshalb ist in solchen Momenten wie der Motivationsrede – die so wichtig ist, dass sie als eigene Gattung fungiert – das Rede-Erlebnis wichtig. Dazu gehört die Stimmung im Raum. Das kann man sich nicht zwischen zwei Gängen zu Kühlschrank und Kaffeemaschine mal eben am Monitor reinpfeifen.

Das Publikum in Echtzeit einbeziehen

Auch wichtig – und allgemein bekannt: Eine Rede muss zum Redner passen, zum Anlass und zum Publikum. Wir Redenschreiber beziehen das Publikum mit ein. Auch das funktioniert aber in erster Linie, wenn das Publikum vor Ort ist. Ich kann – wie es bei vielen sogenannten Webinaren geschieht – versuchen, die Aktivität des Publikums vorherzusehen. Die Wirkung ist realiter aber eine andere. Eine Facebook-, Twitter- und Instagram-Rede, und sei sie noch so verkürzt und New-Media-like aufgemacht, findet immer im jeweiligen Umfeld des jeweiligen Betrachters statt. Nur die Rede in Echtzeit vor Publikum vereint das Publikum an einem Ort und in einer Stimmung.

Diese Einheitlichkeit im Erleben, die für alle gleichen Rahmenbedingungen, sorgen für eine größere Wirkung. Vorausgesetzt, die Rede als solche ist gut, und der Redner denkt an einen weiteren wichtigen Punkt: Eine Rede ist ein Dialog, kein Monolog. Wer das Publikum und die Wirkung der Rede auf das Publikum im wahrsten Wortsinn immer im Blick hat – auch das geht natürlich nur face-to-face – kann seine Rede zu jedem Moment so gestalten, dass sie die Stimmung im Publikum aufgreift. Digital ist das kaum möglich, außer die Redner und ihre Redenschreiber haben seherische Qualitäten.

Ich habe mir schon manche New-Media-Ansprache eines Politikers an sein Volk oder eines Konzernchefs an seine Belegschaft ansehen müssen und fand meist eine von Lampenfieber und Kameraphobie gezeichnete Persönlichkeit vor – aber nie die authentische Person, die sie eigentlich sein wollte. Daher mein Rat: Wenn es authentisch, echt und emotional sein soll – einfach mal wieder miteinander reden, statt nur zu twittern.

Ein weiterer Pluspunkt für die Rede in Echtzeit und Erleben: ich kann Handlung und Sprache miteinander verbinden und das Publikum dabei einbeziehen.

Neulich hörte ich einen Landrat, der in einer Rede an Unternehmer, Medien, Kommunalpolitiker und Verbandsvertreter das schlechte Image eines Landkreises („Wozu braucht man denn so was?“) selbstkritisch und selbstironisch anpackte und zum Schluss seines Auftritts einen Stressball in die Hand nahm. „Den können Sie knautschen, kneten und knuffen. Sie können ihn an die Wand werfen, wenn Sie unzufrieden sind oder wenn Sie sich über uns ärgern.“ Man könne sich damit aber auch die Bälle zuspielen. Das sei viel besser. Sprach’s und warf den Ball ins Publikum. Machen Sie das mal bei einem Podcast.