Blogger – die etwas andere publizistische Macht

Weltweit wächst die Zahl der Blogs. In drei Jahren stieg die Zahl der Blogger weltweit von 78,8 auf 173 Millionen. Nur die deutsche Blogosphäre scheint zu stagnieren – jedenfalls was die Zahl der Blogbetreiber anbetrifft. Tatsächlich aber gewinnt die Blogosphäre hierzulande an Substanz. Nicht nur, dass sich Blogger professionell vermarkten, manche sogar mit ihren Web-Tagebüchern monatliche Einnahmen im vier- bis fünfstelligen Bereich verzeichnen und andere ihre Blogs erfolgreich zur Befeuerung ihres Geschäfts nutzen. Sie werden in einzelnen Branchen zu professionellen Publizisten, die sich zwischen klassischen Journalisten und Facebook-Aktivisten erfolgreich positioniert haben. Für PR-Leute werden sie zunehmend zu interessanten Mitspielern, weil es ihnen gelingt, relevante Teile der Netzöffentlichkeit auf ihre Plattform zu ziehen. 10 bis 20 Blogger dürften in den großen Branchen bereits meinungsbeeinflussend sein oder über ein entsprechendes Potenzial verfügen. Und deshalb die kommunikativen Interessen von Unternehmen berühren. Doch Blogger sind anders. Sie sind eigenwilliger als Journalisten und nachhaltiger als Facebook-Aktivisten. Wer sie kennenlernen möchte, dem nützt das traditionelle Handwerkszeug der Pressearbeit wenig. Er muss sich Zeit nehmen, die Welt der freien digitalen Publizisten und der Experten für Nischenthemen zu erkunden. Der folgende Überblick über die Blogosphäre kann zu einem besseren Verständnis dieser neuen Welt des Beobachtens und Informierens, der eigensinnigen Unterhaltung und schnellen Dienstleistung verhelfen.

Die Amerikaner haben ihre Star-Blogger: Arianna Huffington beispielsweise, die mit Partnern die „Huffington Post“ gründete. Oder Tina Brown, Gründerin und Herausgeberin von „The Daily Beast“. Und sie haben Michel Arrington, der die Website „TechCrunch“ für Web-2.0-Produkte aus der Taufe hob. Allesamt Angebote, die bei der größten Suchmaschine für Blogs, „Technorati“ zu den fünf am häufigsten frequentierten gehören. Die Deutschen haben Sascha Lobo, Stefan Niggemeier und Thomas Knüwer. Sie vermarkten sich professionell und gehören zu den bekanntesten Bloggern in Deutschland. Ähnlich wie die genannten Amerikaner haben sie überwiegend einen journalistischen Hintergrund. Also tatsächlich ein  gleicher Typus an Publizisten, eben eine Blogosphäre? Allein die Einzelfallbetrachtung zeigt, dass die Unterschiede nicht wegzudiskutieren sind: Während es den Amerikanern gelingt, die traditionellen Massenmedien partiell zu ersetzen, schaffen es die Deutschen allenfalls, Medien wie „Spiegel“ und „Bild“ herauszufordern. So soll die „Huffington Post“ monatlich 25 Millionen User erreichen. „TechCrunch“ verzeichnete im Monat Februar 2011 mehr als 4,5 Millionen Besucher. Deutschlands vermutlich erfolgreichster Blog – „Bildblog“ – schafft immerhin rund 1,3 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Doch es gibt noch mehr Unterschiede: CEOs in den USA bloggen leidenschaftlich, deutsche Vorstandsvorsitzende eher selten. Professoren in Nordamerika führen viel häufiger Web-Tagebücher als ihre Kollegen hierzulande. Und mit dem Geldverdienen durch Blogs scheint es in den USA auch besser zu klappen als bei uns. So verkauften die Gründer der „Huffington Post“ im Februar  2011 ihre Website für 315 Millionen US-Dollar an das Medienunternehmen AOL. In Deutschland versteigerte Robert Basic den bis dahin am meisten verlinkten Blog für weniger als 50.000 Euro an Serverloft.

Was ist los mit der Blogosphäre in Deutschland? Nach der Recherche bei Bloggern, Beobachtern aus der Wissenschaft und der Durchsicht von Blogstudien haben die Verfasser den Eindruck gewonnen, dass sich die Blogosphäre eher in einer Art Konsolidierungs- und Profilierungsphase befindet. Blogger werden in Deutschland – zumindest vorläufig – kaum Reichweiten-Rekorde erzielen. Sie erbringen durchaus Spitzenleistungen in der Nische. Die Blogosphäre ist auch deshalb für alle anderen Medien zur Herausforderung geworden, weil sie nicht nur in sich, sondern gerade auch  mit dem etablierten Mediensystem sehr stark vernetzt ist. Und weil sie mit Twitter und Facebook digitale Verstärker nutzen kann.

Die Suche nach Identität Die Gründe, einen eigenen Blog zu starten, sind verschieden. „Medienrevolution oder Strohfeuer“, fragen 2005 Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter in ihrem „Fastbook“ über „Die neuen Meinungsmacher“ und versuchen aus Sicht des Kommunikationsmanagements­ zu beschreiben, was an Herausforderungen und Chancen auf die Unternehmen zukommt.

2007 ging Daimler als erstes Dax-Unternehmen mit einem eigenen Blog online. Das Interesse ist im Vergleich zu den reinen Autoren-Blogs nicht gerade überwältigend, aber für ein Unternehmen beachtlich. Bis zu 40.000 Menschen im Monat interessieren sich für das, was über den Konzern gepostet wird. Aber das bleibt in der deutschsprachigen Blogosphäre nur ein Randphänomen. Vorreiter sind hier die Medienwatchblogs, die die traditionellen Massenmedien in Frage stellen; die kritischen Begleiter der Unternehmen, denen es mitunter gelingt, durch hartnäckige Fehlermeldungen Unternehmen nachhaltig unter Druck zu setzen.

Für den Autor und Blogger Sascha Lobo ist das nicht genug. Vereinzeltes Aufpoppen von Kritik an Fehlleistungen habe keine Bedeutung. Auf der „re:publica XI“ beschimpfte er die Blogger-Gemeinde: „Ihr habt versagt. Ihr seid zu doof oder zu leise, um in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen… Ihr sollt die Gesellschaft prägen, aber ihr redet mit den immer gleichen 1.500 Deppen.“

Welche Nischen können Blogger überhaupt besetzen? Als Zerfaß und Janine Bogosyan 2007 ihre Bloggerstudie durchführten, fragten sie auch, warum Nutzer Blogs lesen. Ganz oben rangierte die Antwort: „Um etwas zu lesen, was ich in anderen Medien nicht finde“, gefolgt von  „um Tipps und Tricks zu geben/erfahren“ und „um Hintergründe zu aktuellen Themen zu erfahren“. Sicherlich sind das alles Motive. Aber der Blick in die Empirie legt die Vermutung nahe, dass diese Motive entweder nur von wenigen geteilt oder woanders befriedigt werden. Zum Beispiel in der etablierten Medienlandschaft.

Spannend sind vor dem Hintergrund der geringen Quantität andere Fragen – nämlich, welche Qualität sich in der Blogosphäre herausgebildet hat, die hochgerechnet immerhin von rund drei Millionen Onlinenutzern regelmäßig besucht wird, und vor allem wo die Entwicklungspotenziale liegen.

Potenzial in Deutschland

„Technorati“ hat Ende 2011 über 4.200 englischsprachige Blogger aus 45 Ländern untersucht. Dabei wurden vier Grundtypen identifiziert: Hobbyisten, Professionals, Entrepreneure und Corporate Blogger. Auch hier also eine breite Mehrheit von Hobby-Bloggern und eine Minderheit an Auftrags-Bloggern – bezahlt von Unternehmen oder anderen Bloggern. Besonders spannend ist das knappe Drittel an öffentlichen Tagebuch-Schreibern, die entweder darüber ihr Geschäft befeuern möchten oder in ihrer Berichterstattung/Kommentierung so professionell sein wollen, dass sich damit direkt Geld verdienen lässt oder ließe. Was die Motive betrifft, einen Blog zu betreiben und sich in der Blogosphäre zu bewegen, so fällt ein interessanter Unterschied auf. Nach der Studie von Zerfaß/Bogosyan (2007) dominieren in Deutschland zwei Motive: Erstens selber senden und zweitens von anderen Neues empfangen. Erst an dritter Stelle folgt das Motiv des Teilens von Meinungen und Erfahrungen.

Blogger-Typen

Hinsichtlich der Unterscheidung von Blogger-Typen ist es sinnvoll, mindestens in zwei Dimensionen zu denken: einer Anbietertypologie und einer Angebotstypologie. Auf der Anbieter-Seite spielt die organisatorische Basis eine große  Rolle. Handelt es sich eher um eine Einzelperson, die den Blog hobbymäßig oder professioneller betreibt, oder um ein organisiertes publizistisches Angebot, hinter dem ein Autorenkollektiv oder eine Unternehmung stehen kann? Auf der anderen Seite ist das Angebot von Bedeutung. Es lassen sich vier kommunikative Grundangebote erkennen:

  • Kritische Landes-, Organisa­tions- und Medienbeobachtung,
  • Übermittlung von Wissen, Meinungen und Nachrichten,
  • Unterhaltung aller Art,
  • Angebote von kostenpflichtigen oder kostenlosen Dienstleistungen (Produkte, aber auch andere nutzwertige Offerten).

Führt man die Anbieter- und Angebots-Dimensionen zusammen, ergibt sich eine Systematik (siehe Grafik). Als erfolgreich auf den Ranglisten erweisen sich Watchblogs (zum Beispiel „Bildblog“) oder Blogs, die sich mit dem Internet beschäftigen (zum Beispiel „netzwertig.com“). Betrachtet man die Top 100 in Deutschland, erweitert sich das Themenspektrum in Richtung Wissenschaft, Technik und Dienstleistung. Interessant ist das hohe Blog-Engagement der klassischen Massenmedien wie „FAZ“, NDR oder ZDF. An der Mikro-Blogosphäre der „FAZ“ zeigt sich, was für den Großteil der Blogosphäre zu gelten scheint: Sie ist die Welt des Hintergründigen, der Überraschung. Aber mitunter kann diese Welt plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Herausforderungen

Während in Deutschland die Anzahl der Blogger und mindestens gelegentlichen Blog-Besucher einigermaßen stabil bei rund drei Millionen liegt, wächst weltweit die Zahl der Blogger kontinuierlich. Wichtig sind diejenigen, die Qualität liefern und eine regelmäßige Lesergemeinde um sich versammeln können. Was sind heute die Erfolgskriterien für Blogs? Immer geht es um die Zahl der Leser, die Beachtung, das Geldverdienen. Um als Blog nachhaltig attraktiv zu sein, lassen sich zwei Basisstrategien benennen:

  • Die Expertenstrategie, wie sie neben Sascha Lobo auch der PR-Blogger Klaus Eck oder der Ex-„Handelsblatt“-Journalist und Internetberater Thomas Knüwer verfolgen: Sie sind als Beobachter zugleich die Advokaten der Netzfreiheit. Und auch die Lotsen für Unternehmen, die sich im Internet bewegen wollen oder müssen.
  • Die Massenstrategie, wie sie von Matthias Winks oder Sandra Tieso genutzt wird, zielt auf die Entwicklung eines publizistischen Nischenprodukts, das so viel Aufmerksamkeit erfährt, dass es durch die Leserzahl für die Werbung interessant wird.

Unabhängig davon, welche Strategie der Blogger verfolgt, muss er regelmäßige Leser finden. Unter anderem bei Facebook und Twitter. Seine Beiträge müssen regelmäßig den Weg in die Offline-Welt finden. Auf diese Weise bleibt die publizistische Chance erhalten, dass das Wissen der wenigen den Weg in die Öffentlichkeit findet. Während sich die klassischen Medien dadurch in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich getroffen sehen, erblicken Unternehmen oder gesellschaftliche Interessensgruppe in den Blogs die Chance, all das zugänglich zu machen, was sie für übersehen halten. In dieser Multiplikatorenfunktion für Mikrothemen liegt ihre Entwicklungsperspektive.

Ähnlich wie der Buchmarkt durch digitale Verlage und Plattformen für jedermann zugänglich ist, erschließt die Blogosphäre  dem Einzelnen die Möglichkeit zum aktuellen Auftritt. Gesellschaftlich etablierte Blogger schaffen mit ihren Blogs ein Sprachrohr für Nischen-Content. Je profe­ssioneller sie sind, desto mehr sind sie untereinander, mit den Social-Media-Plattformen und den klassischen Medien im Austausch. Durch die Vernetzung werden sie zu einer publizistischen Kraft, die das Monopol der traditionellen Massenmedien gebrochen hat. Experten-Positionierung und Massenorientierung sind dabei die erfolgreichsten Basisstrategien für Blogger, die sich bei nachhaltigem Erfolg allerdings den klassischen Medien und ihren Verlagen unter digitalen Vorzeichen wieder annähern.  

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Moral. Das Heft können Sie hier bestellen.

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