Achtung, Selbstbetrug! Tipps zum beruflichen Neustart

Herr Böcker, Pressesprecher müssen sich eine Menge gefallen lassen. Wann sollte man von sich aus aufhören?

Manfred Böcker: „Die Scharnierfunktion zwischen Auftraggeber und Medien ist für Pressesprecher oft belastend Eine Zumutung ist zum Beispiel ein Chef, der seinen Sprecher ohne Munition in den Krieg schickt: Wenn er vorgibt „mach mal was zu Frauen“, aber es zu dem Thema gar keine Geschichte gibt, muss sich der Sprecher zwischen Pest und Cholera entscheiden: Sagt er trotzdem ja, spielt der Sprecher mit seinem Haupt-Asset bei den Journalisten: der Glaubwürdigkeit. Wehrt er sich aber gegen den unsinnigen Auftrag mit dem Verweis auf mangelnde Substanz und Reputationsrisiken, braucht er ein starke Position und breite Schultern.

Also sind unrealistische Ziele ein gefährliches Signal?

Sprecher brauchen einen intelligenten Auftraggeber mit einem Grundverständnis des PR-Geschäfts. Wenn ein Kunde an die Formel „Botschaft + Rausblasen = Titelgeschichte im ‚Manager Magazin‘“ glaubt, kann ihm das ein Kommunikator höchstens versprechen, wenn das Unternehmen Skandale produziert. Er kann Geschichten einen Spin geben – aber nur auf dem Boden der Tatsachen. Sprecher haben Kundenbeziehungen gleich in zwei Richtungen – zum Unternehmen und den Medien und müssen dauerhaft auf beide Seiten blicken – möglichst ohne dabei zu schielen.

Aber kein Chef hält seinem Sprecher einen geladenen 45-er an den Kopf. Der macht seinen Job ja freiwillig.

Und genau darum brauchen Sprecher eine Haltung zu ihrem Job – und die muss die derzeitige Aufgabe überdauern. Häufig sehen Chefs ihre Sprecher nur als Mundstück, und mancher Kommunikator pfeift auch in jede Flöte, die man ihm hinhält. Dabei haben Pressesprecher auch eine wichtige Feedbackfunktion. Wenn Vorgesetzte das anders sehen, kann das ein Argument sein, den Job zu wechseln.

Gibt es weitere Symptome für einen drohenden Selbstausstieg?

Selbstbetrug nährt nicht das Lebensglück. Man muss seine persönliche Sollbruchstelle finden. Eine gute Testfrage wäre zum Beispiel „Kann ich heute Abend mit ruhigem Gewissen mit einem Journalisten ein Bier trinken gehen – oder muss ich Angst haben, wegen irgendetwas aufzufliegen?“

Und wenn mich mein Chef triezt?

Man wird die anderen nicht ändern. Wenn mein Vorgesetzter und ich nicht zueinander passen, muss ich mir einen anderen Chef suchen. Wenn jedoch die Unternehmenskultur nicht passt, nützt auch ein Wechsel in eine andere Abteilung nicht. Und wenn es gar die ganze Branche betrifft, hilft nur eine komplette Neuorientierung oder der Schritt in die Selbständigkeit.

Wie kommt man zu einer so großen Entscheidung?

Ich empfehle Kommunikation nach innen als regelmäßige Selbsthygiene: Jeder sollte sich Zeit nehmen für Fragen wie: Kann ich nur außerhalb des Büros glücklich sein? Wie groß ist mein Handlungskorridor – und passt er zu meinen Bedürfnissen?

Und wie finde ich meinen Plan B?

Wenn die Entscheidung zum Wechsel gefallen ist, muss man genau überlegen: Will ich mich innerhalb des Unternehmens und meiner Abteilung umorientieren und gehe ich zum Beispiel in die interne Kommunikation? Bewerbe ich mich lieber auf die gleiche Position bei einem anderen Unternehmen? Oder will ich gleich die Perspektive ändern und mache etwas ganz anderes? Bei einem Wechsel in eine Agentur bleibt das Dilemma und die Notwendigkeit der eigenen Haltung bestehen.

Wie ändert sich die Sinnfrage mit dem Alter?

Nehmen wir die typische Männerfalle: Ich mache Karriere und der Job frisst mich auf. Mit Ende 20 ist das vielleicht OK, mit Mitte 30 und zwei Kindern für manche nicht mehr, weil eine aktive Vaterschaft zum Beispiel so nicht möglich ist. Um eine Entscheidung fällen zu können, braucht man Ehrlichkeit: Sich selbst gegenüber und der Familie. Die Work-Life-Formel entspricht meist nicht einer Teilung durch zwei: Es gibt ja auch Menschen, die leben erst mit einer 80-Stunden-Woche richtig auf.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Fehler. Das Heft können Sie hier bestellen.

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